Vertreter der kommunalen Ebene: Jacek Piorunek, Landrat der Woiwodschaft Podlasien, Bernard Gaida vom VdG
Oppeln, LO-Sprecher Stephan Grigat, Jarosław Słoma, Kommissionsvorsitzender und Heinrich Hoch vom VdGEM
(v.l.) Foto: MRK
Die Veranstaltung der LO in Allenstein beschäftigte sich mit der Situation der Deutschen Minderheit in der Republik Polen
Angesichts wachsender politischer Spannungen zwischen der EU und Polen sowie Gerüchten über einen drohenden „Polexit" ist es umso wichtiger, auf kommunaler Ebene einmal geknüpfte Kontakte zu pflegen und die Zusammenarbeit auszuweiten.
Zu diesem Ziel trägt die Landsmannschaft Ostpreußen (LO) gemeinsam mit ihren polnischen Partnern im südlichen Ostpreußen und in Schlesien bei. Mitte Oktober hatte die LO zu ihrem 13. Deutsch-Polnischen Kommunalpolitischen Kongress ins Hotel Warminski nach Allenstein eingeladen. Gefördert wurde die Veranstaltung aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung. Etwa 60 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, die unter dem Motto „Die deutsche Minderheit in der Republik Polen – Rahmenbedingungen, Projekte, Perspektiven" stand.
Von offizieller polnischer Seite waren neben dem Landrat des Kreises Allenstein, Andrzej Abako, der Parlamentspräsidentin der Woiwodschaft Ermland und Masuren, Bernadeta Hordejuk, dem Minderheitenbeauftragten der Woiwodschaft, Wiktor Marek Leyk, sowie dem Vorsitzenden der Kommission für ethnische und nationale Minderheiten im Woiwodschaftsparlament, Jarosław Słoma, auch der Vorsitzende des Verbands der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren (VdGEM), Heinrich Hoch, sowie der Vorsitzende des Verbands der deutschen sozialkulturellen Gesellschaften in Polen (VdG), Bernard Gaida, zugegen. Daneben waren Vertreter der deutschen Vereine im südlichen Ostpreußen, Landräte, Bürgermeister und Kreisvertreter aus der Bundesrepublik anwesend.
In seiner Eröffnungsrede lobte LO- Sprecher Stephan Grigat, dass so viele Freunde Ostpreußens zusammengekommen seien, um mit ihrer Teilnahme am Kongress das Zusammenstehen in Europa zu belegen. Bevor die zweitägige Veranstaltung richtig beginnen konnte, hielten die Vertreter der Woiwodschaft Ermland und Masuren eine Überraschung für Grigat bereit. Der Minderheitenbeauftragte Leyk trat ans Rednerpult und verkündete, dass Grigat das Ehrenabzeichen der Woiwodschaft Ermland und Masuren für seinen über 30-jährigen Einsatz für Heimat und Vaterland verliehen werde. Die Woiwodschaft würdigt damit Grigats Bemühungen um die deutsch-polnische Völkerverständigung. Das Ehrenabzeichen heftete Hordejuk einem sichtlich gerührten Grigat ans Revers.
Nach den Grußworten der polnischen Teilnehmer und dem Verlesen des Grußworts der bayerischen Sozialministerin Carolina Trautner führte Ulf Püstow, Mitglied des Bundesvorstands der LO und neuer Tagungsleiter der Kommunalpolitischen Kongresse, in das Thema der Tagung ein. Er erinnerte daran, dass in der EU viele nationale Minderheiten anzutreffen seien. Immer wieder sei es zu Vertreibungen und Ausgrenzungen der Menschen in ihren neuen Wohnorten gekommen. Umso wichtiger sei es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ziel der Veranstaltung sei der Austausch über die Deutsche Minderheit in der Republik Polen, das Sprechen über Freundschaft und Frieden. Denn, so sein Credo: „Nur Zusammenleben schafft Zukunft."
Den ersten Vortrag hielt Professor Marcin Chełminiak vom Politologischen Institut der Universität von Ermland und Masuren zum Thema: „Die Deutsch-Polnischen Beziehungen in Gegenwart und Zukunft". Er blickte zurück auf den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991, der die Grundlage für eine Verständigung zwischen Deutschen und Polen schaffte. Der Politologe beschrieb die unterschiedlichen Positionen der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs bezüglich der Vereinigung Deutschlands sowie Polens Sorgen um die Sicherung seiner Grenzen. Erst mit dem Verzicht der Bundesrepublik auf Gebietsansprüche und dem Grenzvertrag von 1990 hätten sich die Beziehungen derart verbessert, dass Deutschland zum Hauptmotor für den Beitritt Polens zu EU und NATO wurde. Perspektivisch betrachtet betonte Chełminiak, dass wir heute in Europa in der längsten kriegsfreien Phase leben. Er sprach die Hoffnung aus, dass dies auch möglichst lange so bleiben möge.
Die Rückbesinnung auf den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag zog sich wie ein roter Faden durch alle Vorträge. Doch wo Licht ist, da fällt auch Schatten. Auf Letzteren ging Gaida mit seinem Vortrag „Das Scheitern der europaweiten Bürgerinitiative ‚Minority Safe-Pack' zum Schutz und zur Förderung von Minderheitenrechten und seine Folgen" ein. Es handelt sich um eine europäische Bürgerinitiative, die ein Paket von Gesetzesvorschlägen in Brüssel eingereicht hatte, mit denen der Schutz nationaler Minderheiten gewährleistet werden soll. Obwohl eine Million Unterschriften für die Petition eingeholt wurden, tut sich in Sachen Minderheitenpolitik auf EU-Ebene so gut wie nichts. Grund dafür sei, dass die Verantwortung für die Minderheitenpolitik bei den einzelnen Mitgliedsstaaten liege, die – wie im Falle Warschaus – einfach die Bearbeitung von Anträgen hinauszögern können.
Als ein leuchtendes Beispiel für eine erfolgreiche Minderheitenpolitik nannte Bernard Gaida das Land Rumänien. Dort gibt es Schulen, in denen von der ersten bis zur letzten Klasse in der Sprache der Minderheit unterrichtet wird. Das polnische Bildungsministerium schraube seine Bemühungen zurück, statt sie auszuweiten.
Bevor das Programm fortgesetzt wurde, zeichnete der LO-Sprecher Słoma und Gaida mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Landsmannschaft Ostpreußen aus. Słoma setzte sich zeit seines Lebens für die deutsche Geschichte und für die deutsch-polnische Verständigung ein. Der Schlesier Gaida engagiert sich seit 1990 für die Deutsche Minderheit in der Republik Polen und ist auch Ostpreußen in besonderem Maße verbunden. Dass es gleich zwei Ehrungen an einem Tag gab, ist außergewöhnlich. Die Urkunde für Gaida lag schon lange in der Schublade, doch die Corona-Krise machte eine feierliche Übergabe unmöglich.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bildungsgesellschaft, Waldemar Gielzok, trug zur Situation des Deutschunterrichts Erfahrungen aus der Praxis bei. Der rechtliche Rahmen für den Unterricht von Minderheitensprachen sei zwar geschaffen, doch müsse man persönlich aktiv werden. Die Deutsche Bildungsgesellschaft habe in der Vergangenheit gemeinsam mit dem Goethe-Institut zur Ausbildung von qualifizierten Deutschlehrern beigetragen und nehme auch Prüfungen ab. Neben dem Erlernen der Sprache sei jedoch ein entsprechendes Umfeld von großer Bedeutung. Als Beispiel nannte Gielzok Kulturveranstaltungen im Oppelner Land, aber auch einen Biobauern, der Kinder einlädt, um deutsche Erklärungen zur Tier- und Pflanzenwelt praktisch einzuüben.
Zum Erhalt der Sprache sind auch deutsche Publikationen notwendig. Am Beispiel des „Schlesischen Wochenblatts", jetzt „Wochenblatt.pl" zeichnete dessen Chefredakteur Rudolf Urban die Geschichte deutschsprachiger Zeitungen im polnisch verwalteten Teil Ostdeutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs nach. Da in Schlesien überwiegend deutsche Bergarbeiter verblieben waren, erschien in den 1960er Jahren zunächst die „Schlesische Arbeiterstimme", die allerdings nur dort verkauft werden durfte, wo auch Deutsche lebten. Erst mit dem politischen Tauwetter 1989/90 erschienen weitere Zeitungen. Die erste Ausgabe des „Wochenblatts" wurde im April 1990 herausgegeben. Wie im Westen, so gehen auch in Polen die gedruckten Auflagen zurück. Das „Wochenblatt" sieht einen Ausweg im online-Angebot. Die Redaktion produziert mittlerweile auch Radiosendungen. Einen Überblick kann man sich über das Portal „deutschemedien.pl" verschaffen.
Den zweiten Tag der Veranstaltung eröffnete Hoch mit einem Überblick über die deutschen Gesellschaften und Vereine im südlichen Ostpreußen. Der VdGEM verfügt über 18 Mitgliedsverbände und zählt insgesamt 5000 Mitglieder. Bei den zahlreichen Veranstaltungen, Kursen und Arbeitsgruppen kann der Verband auf die Unterstützung der Kommunen wie auf die der LO zählen. Stolz ist Hoch vor allem auf die Veranstaltungen für Kinder, bei denen diese spielerisch die deutsche Sprache lernen. Einziger Wermutstropfen ist, dass viele Jugendliche sich nicht mehr engagieren und nach ihrer Ausbildung ins Ausland abwandern.
Einen lebendigen Beitrag lieferte die Oppelner Archivarleiterin Magdalena Lapshin über „das Forschungszentrum der Deutschen Minderheit in Oppeln". Dieses Zentrum wird vom polnischen Innenministerium gefördert. Ab 2015 entstand ein Wissenschaftsrat, der sich mit der Erforschung der Deutschen Minderheit befasst. Inzwischen gibt es sechs Projekte unter anderem zur Geschichte der Deutschen, deren Ergebnisse in Monographien veröffentlicht werden. Zu Lapshins Aufgaben gehört die Erstellung von Zeitzeugenberichten. Eine wertvolle Sammlung sind Audioaufnahmen, von denen bislang 300 vollständig verschriftet wurden. Von der Bedeutung solcher Tondokumente konnten sich die Kongressteilnehmer selbst überzeugen. Über die Arbeit des Wissenschaftsrats kann man sich unter www.facebook.com/fzentrum/ beziehungsweise über das Archiv unter https://zbioryspoleczne.pl/ informieren.
„Nun wird es wissenschaftlich und womöglich werde ich Sie langweilen", sagte Mariusz Baranowski von der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen, als er über „Situation und Chancen der deutschen Minderheit in der Republik Polen" sprach. Ganz und gar nicht langweilig stellte er am Beispiel Oppeln die Ergebnisse einer Studie vor, die auf einer Umfrage unter Mitgliedern der Deutschen Minderheit in Schlesien beruht. 88 Prozent der Befragten gaben an, dass der Stolz auf die deutschen Wurzeln am wichtigsten für ihr Bekenntnis zum Deutschtum sei. In der Region sei die Deutsche Minderheit gut angesehen, Diskriminierungen und Beleidigungen gebe es so gut wie nicht. Das Verhältnis zu den Behörden sei gut, obwohl die PiS-Regierung das Sagen hat. Auch wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen gegeben seien, gebe es in der Selbstwahrnehmung viel Nachholbedarf für die Deutsche Minderheit.
Zum Abschluss wies Püstow noch einmal darauf hin, wie wichtig es ist, die deutsche Sprache und Kultur aufrecht zu erhalten angesichts der Tatsache, dass Familien nicht mehr wie früher zusammenleben. Umso wichtiger sei es, das gemeinsame Haus Europa weiter offen zu halten.
Manuela Rosenthal-Kappi