Karten Ostpreußen, Königsberg
Sie sind hier: Ostpreußen-Portal > Landsmannschaft Ostpreußen > 8. Kommunalpolitischer Kongress 2011

8. Kommunalpolitischer Kongress 2011

Landsmannschaft_Ostpr_8_KK_Internet.pdf (3,1M)

Programm_8._Kom.-pol.-Kongr.pdf (121K)


Die Stafette weitertragen

8. Kommunalpolitischer Kongress in Allenstein: Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag diskutiert

Das Medieninteresse ist groß: Auf dem Fernsehbildschirm in der Hotellobby läuft über Stunden eine Direktübertragung vom Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Warschau. Die EU will die Beziehungen mit ihren östlichen Anrainern vertiefen. Alle Großen aus der Union sind da, EU-Kommissionspräsident Barroso, EU-Ratspräsident Van Rompuy und Bundeskanzlerin Merkel. Gastgeber ist der polnische Regierungschef Donald Tusk, der ernst und angespannt wirkt. Vielleicht ist es der Ärger über das notorisch renitente Weißrussland, das seine Teilnahme am Gipfel platzen ließ und weder Außenminister noch Botschafter nach Warschau schick­te. Vielleicht machen ihm insgeheim aber auch die jüngsten Prognosen zu schaffen, nach der ein Sieg seiner Bürgerplattform bei den Parlamentswahlen am Sonntag keineswegs als sicher gilt, ihr vielmehr ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit bevorsteht.

Ein Ost-West-Gipfel ganz anderer Art fand unterdessen im Tagungsraum des Hotels statt: Die Landmannschaft Ostpreußen hatte zu ihrem nunmehr achten Deutsch-Polnischen Kommunalpolitischen Kongress in die Copernicus-Stadt Allenstein geladen. Die Einladung fiel auf fruchtbaren Boden: Viele Vorsitzende der Deutschen Vereine in Ermland, Oberland und Masuren, einige Bürgermeister süd-ostpreußischer Gemeinden, Vertreter ostpreußischer Kreisgemeinschaften aus dem Bundesgebiet sowie Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums hatten eine teils weite Anreise auf sich genommen, um dabei sein können. Dieses Jahr stand ein aktuelles geschichtspolitisches Thema auf der Tagesordnung: Der zwanzigste Jahrestag des „Deutsch-polnischen Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit", den die Politik schon im Juni ausgiebig gefeiert hatte, legte es nahe, Bilanz zu ziehen – Bilanz eines Verhältnisses zweier schwieriger Nachbarn, die doch seit Tausend Jahren „Tür an Tür" leben, wie der stellvertretende Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Gottfried Hufenbach, in seiner Einführung auf den Titel der jüngst in Berlin eröffneten Ausstellung über deutsch-polnische Kunst und Geschichte anspielte.

Hufenbach rief die rasante Entwicklung der letzten zwanzig Jahre in Erinnerung: Polen ist heute Mitglied der Europäischen Union, trägt zurzeit „die Last der Ratspräsidentschaft" und gehört dem westlichen Militärbündnis der Nato an. Deutschland exportiert mehr Waren nach Polen als in das unvergleichlich viel größere Russland. Im Juni kamen polnische und deutsche Abgeordnete zu einer gemeinsamen Parlamentssitzung zusammen. Noch vor zwei Dekaden, kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation, schien ein solcher Lauf der Dinge noch als Sphärenmusik einer ferneren Zukunft.

Ziel des Kongresses sei es, so Hufenbach, den Dialog zwischen den Vereinigungen der heimatverbliebenen Deutschen, den Kreisgemeinschaften sowie polnischen Stellen zu verstetigen, wozu die Landsmannschaft Ostpreußen mit der Plattform der Kommunalpolitischen Kongresse beitragen wolle.

Eine „Genese und Bewertung" des Nachbarschaftsvertrages nahm zum Auftakt der Veranstaltung der Direktor des Instituts für Politische Wissenschaften an der Universität Ermland und Masuren vor. Arkadiusz Żukowski rief das „Trauma des Zweiten Weltkrieges" auf, das das Verhältnis zu Deutschland jahrzehntelang bestimmte und auch heute noch im Hintergrund wirkmächtig sei. Ein Glücksfall für die Wende in den gegenseitigen Beziehungen waren dann die weltanschaulichen Übereinstimmungen zwischen dem Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Ministerpräsidenten Volkspolens, Tadeusz Mazowiecki. Deren gemeinsame christliche Werte, die im verbindenden Katholizismus gipfelten, schufen eine Grundlage für vertrauensvolle Zusammenarbeit. Żukowski erinnerte an die Gemeinsame Erklärung beider Regierungschefs vom 14. November 1989, die von der Fachliteratur oft übergangen werde. Das Dokument, nur wenige Tage nach dem Mauerfall unterzeichnet, riss viele Punkte an, die später im Nachbarschaftsvertrag wieder aufgegriffen wurden. Die Grenzfrage war noch ausgespart, weil Kohl nur für die Bundesrepublik, nicht aber für ein Gesamtdeutschland sprechen konnte.

„Die Anerkennung der Grenze war ein fundamentaler Punkt für den Beginn neuer Beziehungen", gab Żukowski die polnische Interessenlage wieder. Nicht von ungefähr habe dem Nachbarschaftsvertrag der Grenzvertrag vom 14. November 1990 vorausgehen müssen, wobei Żukowskis Darstellung darauf hinauslief, die Oder-Neiße-Grenze sei endgültig bereits mit dem Potsdamer Abkommen anerkannt worden – eine in Polen gängige Auffassung. Aus dem Publikum folgte prompt entschiedener Widerspruch unter Hinweis auf den Friedensvertragsvorbehalt.

Raunen und Unruhe rief auch Żukowskis Redeweise von einer „polnischen Minderheit" in Deutschland hervor, in deren Behandlung gegenüber der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen eine „Asymmetrie" herrsche: „Das sind noch offene Fragen, deren Klärung sich lohnen würde." Eine Wortmeldung stellte klar, dass es sich bei den deutschen Bürgern polnischer Abstammung um eingewanderte Bevölkerung, nicht aber um Authochthone handele.

Die Historiker Albert Kotowski (Bonn und Bromberg) und Peter Chmiel (Breslau) weiteten in ihren Analysen den engen zeitgeschichtlichen Horizont und wiesen nachdrücklich auf die „glücklichen, goldenen Zeiten" der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte hin: Die Reise Kaiser Ottos III. zum Piasten-Herzog Boleslaus dem Tapferen nach Gnesen im Jahre 1000, die Vermählungen polnischer Herrschersprosse mit deutschen Prinzessinnen im Mittelalter, der polnische König Johann III. Sobieski und dessen Sieg über die Türken bei Wien 1683, die sächsischen Kurfürsten, die als gewählte Könige in Polen herrschten. Die Grenze zwischen der Rzeczpospolita und dem Heiligen Reich war zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert stabil und unumkämpft. „Deutsch-polnische Gemeinsamkeiten und friedliche Zeiten sind in der Geschichte leicht aufzufinden", so Kotowski. Das Unbill ließ er, was Wunder, mit dem „preußisch-polnischen Antagonismus" und Bismarck beginnen; Chmiel argumentierte hier objektiver und nannte den um 1850 aufkommenden Panslawismus als Quelle des nachhaltigen Zerwürfnisses beider Nationen, das zunächst in den Abstimmungskämpfen nach dem Ersten Weltkrieg gipfelte.

„Vertreibungen soll man auch so nennen", verwahrte er sich gegen „Sprachmanipulation", wie sie in Polen mit den Begriffen „Aussiedlung" und „Repatriierung" bis heute betrieben wird. Indessen übergingen sowohl Chmiel als auch Kotowski die Verdrängung und Vertreibung der Deutschen aus den nach 1918 verlorenen Gebieten und ließen diese erst 1945 beginnen – einzig als Folge Hitlers.

Die Westverschiebung des polnischen Staates auf Kosten des Deutschen Reiches, über deren verschiedene Optionen Chmiel detailliert referierte, war zwar Ergebnis der durch Polen nicht direkt beeinflussbaren Entscheidungen der Siegermächte des letzten Weltkrieges, kam jedoch, wie der Historiker Roland Gehrke vor Jahren nachwies, einer schon lange vor dem Krieg existenten politischen Strömung entgegen, „in der sich eine feindselige Grundhaltung gegenüber dem deutschen Nachbarn mit Gebietsansprüchen im Westen verband und deren ideologisches Fundament bereits unter den Bedingungen der Teilung gelegt worden war".

Zu dieser Tendenz vom Beginn des 19. Jahrhunderts, die als „Polnischer Westgedanke" (polska myśl zachodnia) inzwischen zum Begriff der Geschichtsforschung geworden ist, hätte man von beiden Historikern gerne etwas gelernt. So aber lieferten Chmiel und Kotowski, wenn auch in Abstufungen, doch nur wieder die sattsam bekannte nationalpolnische Sicht auf die Zeitläufte, deren selektive Darstellung ein wahrhaftiges Verstehen verhindert. Von Bismarck zu reden, aber von Dmowski („Endecja") und Wojciechowski (Posener „West-Institut"), den geistigen Wegbereitern der Totalvertreibung der Deutschen, zu schweigen, grenzt an Manipulation.

Marcus Dräger vom Bundesverband der Deutsch-Polnischen Gesellschaften erzählte von seinen Erfahrungen beim Aufbau einer Partnerschaft zwischen seinem Heimatort Engelskirchen und dem polnischen Mogilno. Durch die ungezählten deutsch-polnischen Städtepartnerschaften bauten sich „Vorurteile quasi von selber ab".

Über künftige Perspektiven des Nachbarschaftsvertrages referierte Krzysztof Gładkowski, wie Żukowski vom Institut für Politische Wissenschaften an der Allensteiner Universität. Eine der Thesen lautete, die Umbruchzeit, geprägt von den „magischen Begriffen Vergebung und Versöhnung", sei vorüber. Jetzt gehe es darum, sich mit dem gleichen Enthusiasmus des kulturellen Erbes der Region Ostpreußen zu versichern. Die Arbeit der Allensteiner Stiftung Borussia, welche die Kultur Ermlands und Masurens erforscht und vermittelt, gleiche meist der „Entdeckung der versunkenen Atlantis": „Die Jugend weiß kaum etwas vom kulturellen Erbe dieser Region."

Zum Abschluss des zweitägigen Kongresses, dessen Vorträge lebhaft und kontrovers mit dem Publikum diskutiert wurden, schöpfte der Direktor des Münchner Hauses des Deutschen Ostens, Ortfried Kotzian, mit der Thematik Vertreibung, Heimatverlust, Identitätsfindung noch einmal aus dem Vollen und fesselte die Zuhörer ganz. Im „Zwischen-Europa" zwischen den Linien Stettin-Triest und Narva-Schwarzes Meer lebten 1939 16 Millionen Deutsche. Heute sind es nurmehr eine halbe Million. Trotz dieser Auslöschung des Deutschtums im Osten versprühte Kotzian einen Optimismus, der ansteckte. An die Zuhörer gewandt, rief er: „Jeder Ostpreuße muss Fachreferent für seine Heimatregion sein!" Die Stafette weitertragen – das geht, wenn wir „selbstbewusst unsere Identität vertreten".

Fazit des Kongresses: Herkunft und Identität sind Schlüsselbegriffe für die Zukunft.

Christian Rudolf