4. Deutsch-Russisches Forum: Engagement für den Erhalt alter deutscher Bausubstanz
In diesem Jahr fand die grenzüberschreitende Veranstaltung vom 14. bis zum 16. Oktober in Nürnberg und Ellingen statt. Brigitte Stramm, Mitglied des Bundesvorstands der Landsmannschaft Ostpreußen (LO), hatte Kulturschaffende aus dem Königsberger Gebiet zum inzwischen traditionellen Deutsch-Russischen Forum „Zukunft braucht Vergangenheit" eingeladen.
Unaufhaltsam schreitet die Zeit voran und neben historischer Bausubstanz geht auch das Wissen der Erlebnisgeneration verloren, wenn es nicht Menschen gibt, die dafür sorgen, dass Erfahrungen, Wissen und Traditionen an Jüngere weitergegeben werden. „Lassen Sie uns beginnen!" − Mit diesem Appell beendete Brigitte Stramm ihre Begrüßung der Teilnehmer. Als Aufgabe des Forums formulierte sie das Ziel, das, was noch erhalten ist, zu bewahren, durch Diskussionen und Gespräche die Zusammenarbeit in der Zukunft zu intensivieren.
Das sah LO-Sprecher Stephan Grigat ebenso. Er ermutigte die Teilnehmer, wirkliche Partnerschaften, die von Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit geprägt sein müssen, mit ihren deutschen Kollegen einzugehen, um ihr gemeinsames Interesse an der Geschichte des Königsberger Gebiets und der Erhaltung ihrer Zeugnisse voranzubringen. In der heutigen Woiwodschaft Ermland und Masuren, dem südlichen Ostpreußen, und dem litauischen Memelgebiet, die beide seit ihrer Zugehörigkeit zur Europäischen Union praktisch Inland geworden sind, ist die Tätigkeit der LO und ihrer Untergliederungen keinen Beschränkungen mehr unterworfen. „Die Zusammenarbeit mit Öffentlichen und Privaten ist dort nicht mehr Ausnahme, sondern regelmäßige Normalität. Der mittlere Teil Ostpreußens, das Königsberger Gebiet, hat hier deutlichen Nachholbedarf. Die als Belastung empfundene Insellage birgt auch Chancen, die wahrgenommen werden wollen." Grigat unterstützt deshalb die Zusammenarbeit der LO und ihrer Untergruppen mit den heute im Königsberger Gebiet lebenden Menschen in Projekten, wohl wissend, dass nicht alles in der Hand der Forumsteilnehmer liegt. Das Deutsch-Russische Forum bietet dennoch die Möglichkeit Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wo etwas getan werden kann.
Erstes aktenkundiges Ergebnis vorangegangener Foren ist der im vergangenen Jahr in Gumbinnen zustandegekommene Vertrag zur Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Archiv in Königsberg, der den Teilnehmern langwierige Formalitäten bei der Ausübung ihrer grenzüberschreitenden Kulturarbeit erspart. Wichtigste Verbindungsleute vor Ort sind Klaus und Valentina Lunau, die enge Kontakte zu Behörden und Kulturschaffenden halten.
Es braucht Enthusiasmus und Durchsetzungsvermögen, um sich dem Erhalt beinahe verschwundener Architektur- und Kulturdenkmäler zu widmen, hüben wie drüben. Was im diesjährigen Tagungsort die „Altstadtfreunde Nürnbergs e.V." bewirken, teilen sich im Königsberger Gebiet Museumsleiter, Heimatforscher, Lehrer und Bürgerinitiativen. Erfreulich zu beobachten ist, dass gerade in Ostpreußen unter den Enthusiasten erstaunlich viele junge Menschen anzutreffen sind, die dem Verfall des deutschen Kulturerbes nicht gleichgültig zusehen wollen und sich auch gegen Widerstände für ihre Projekte einsetzen. „Wenn wir es nicht tun, wer denn sonst?", brachte es ein Referent auf den Punkt. Die hier nur angerissenen Arbeitsthemen wird die PAZ/OB noch in loser Folge einzeln vorstellen. Für 2012 ist das nächste Forum in Ostpreußen geplant, auf dem dann konkrete Ergebnisse angestrebt werden.
Manuela Rosenthal-Kappi
Video von Manuela Rosenthal-Kappi
Vortrag beim 4. Deutsch-Russisches Forum in Nürnberg: Dimitri Suchin berichtet über den noch erhalten gebliebenen Lokomotiv-Rundschuppen, erbaut um 1870 nach dem Entwurf von Joseph Schwedler Foto: MRK
Projekt »InsterJAHR« verbucht erste Erfolge − Interesse der örtlichen Bevölkerung blieb eher gering
Die Idee zu einem der ehrgeizigsten Projekte im Königsberger Gebiet entstand vor zwei Jahren in Insterburg. „InsterJAHR", ein gemeinsames Unternehmen von Bürgerinitiativen und Fachgruppen, will mit Unterstützung der Stadtgemeinde Insterburg das historische und kulturelle Erbe der Stadt erschließen und erneuern.
„Die ostpreußische Stadt, uns zugefallenes Erbe, ist mit der Zeit zu einem losen Gewebe geworden: Schaffen wir es, daraus ein passendes Gewand zu schneidern?" Ausgehend von dieser Frage fanden Architekten, Heimatforscher und Stadtangestellte zusammen, um gemeinsam an dem Projekt „InsterJAHR 2010" mitzuwirken. Alle Initiativen waren zunächst auf das Jahr 2010 beschränkt. Die Stadtverwaltung hatte aus ihrem Haushalt umgerechnet 12000 Euro zur Verfügung gestellt. Das Ziel des Projekts ist, das baugeschichtliche Erbe der Stadt zur „Grundlage einer internationalen und interregionalen Entwicklungs- und Austauschstätte" werden zu lassen, an der die forschende und lehrende Wissenschaft der Hochschulen teilhaben soll.
Dimitri Suchin, Architekt und Beirat der Scharoun-Gesellschaft in Berlin sowie Teilnehmer am diesjährigen 4. Deutsch-Russischen Forum in Nürnberg, führte sein Interesse am Wirken des Architekten Hans Scharoun, der zehn Jahre in Ostpreußen verbrachte, nach Insterburg. Ein Stadtrundgang genügte ihm, um zu sehen, dass das baugeschichtliche Erbe erhaltenswert ist. Heute arbeitet er tatkräftig bei „InsterJAHR" mit, hält Vorträge, betreut den Internet-Auftritt und leitet Studenten an. 2010 wurde schnell klar, dass die umfangreichen und erst in Ansätzen angeschobenen Arbeiten auch 2011 fortgesetzt würden. Fünf Hauptziele wurden im ersten Jahr formuliert: Die Siedlung „Bunte Reihe", von Hans Scharoun 1921 bis 1924 erbaut, wurde unter Denkmalschutz gestellt und Pläne zur Restaurierung wurden unter Heranziehung der jetzigen Bewohner erarbeitet. Insterburg galt einst als grüne Stadt, hatte einen Stadtpark und Gärten, die Direktor Hugo Kaufmann verwaltete. Der „Neue Städtische Friedhof", 1916 von ihm angelegt, soll als „Frida-Jung-Gedächtnis-Poesiepark" neu angelegt werden. Für das dritte und größte Projekt, die Rettung des um 1870 nach Entwürfen von Joseph Schwedler erbauten Lokomotiv-Rundschuppens, liegen Pläne vor, die eine Sanierung zu einem multifunktionalen Raum mit Parkhaus, Café, Büro- und Handelsflächen sowie einem Bildungszentrum vorsehen. Des Weiteren will man sich um die Parks der Stadt kümmern. Der ehemalige Kolonialwarenladen Weißenberg soll Sitz der neu gegründeten Gesellschaft für Hauseigentümer und Künstlerresidenz werden.
Im vergangenen Jahr fanden zahlreiche Veranstaltungen statt. Deutsche Architekten und Spezialisten kamen nach Insterburg, um ihr Wissen mit den Ansässigen zu teilen. Auch die Kreisgemeinschaft Insterburg beteiligte sich daran. Suchin lud Studenten verschiedener Hochschulen zu Sommerpraktika ein. Besonderes Interesse zeigten Schüler der Kasaner Bauhochschule. Während ihres Aufenthalts haben sie den Bismarckturm und die Scharoun-Häuser vermessen. Leider folgten andere Universitäten der Einladung nicht. Inzwischen haben die Stadt Insterburg, „InsterJAHR" und die Bauhochschule Kasan einen Vertrag zur Renovierung der Häuser unterzeichnet. Das Ziel, den Informationsstand der Insterburger zu verbessern und die Bewohner der Scharoun-Häuser zur Mitarbeit zu bewegen, wurde nicht erreicht. Umso größer ist die Bereitwilligkeit zur Mitwirkung in Königsberg sowie inzwischen auch in St. Petersburg und Moskau. In diesem Jahr waren erstmals Hydrologen aus Moskau anwesend, um das Kanalsystem zu untersuchen.
Ein Problem bei der Umsetzung der Pilotprojekte ist neben der fehlenden Finanzierung der Mangel an Handwerkern. Selbst wenn das Geld für eine Baumaßnahme zusammen ist, gibt es vor Ort keine Zimmerer, Tischler, Maurer und Putzer, die Hand anlegen könnten. Deshalb wollen die Organisatoren in Zusammenarbeit mit der Königsberger Bauschule und der Denkmalakademie in Görlitz eine Bildungseinrichtung für Handwerker ins Leben rufen. Vereinbarungen zur Bildungszusammenarbeit wurden mit polnischen und deutschen Experten abgeschlossen. Lehrkräfte aus Görlitz werden jeweils für einige Monate in Insterburg Handwerker ausbilden und Lehrmaterial zur Verfügung stellen.
Der Einsatz für den Erhalt des städtebaulichen Erbes erfordert viel Geduld und Engagement aller Beteiligten. Die Verbreitung von Informationen per Internet und örtlichem Fernsehen sowie die Präsenz auf internationalen Ausstellungen wie der Moskauer Architektur Biennale 2009 und der Berliner Bautech 2010 zeigen Erfolge.
Die Taktik, sich internationale Unterstützung zu holen, wenn sich national wenig bewegt, scheint aufzugehen. Vereinbarte Kooperationen mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und anderen Organisationen außerhalb Ostpreußens überzeugen. Das „InsterJAHR" wird es voraussichtlich noch viele Jahre geben.
Manuela Rosenthal-Kappi