Politische Prominenz fördert auf dem 5. Kommunalpolitischen Kongreß den deutsch-polnischen Verständigungsprozeß
Bei uns findet ein Prozeß statt. Als ich von einer Frau gelesen hatte, die auf der Flucht mit dem Handwagen ihr totes Baby auf dem Arm trug und nach einer Stelle suchte, um es im Straßengraben zu beerdigen, damit es nicht von Panzern und Wagen überrollt werde, hat mich das tief berührt. Jedwabne hat uns gezeigt, daß in der Geschichte Polen nicht nur Opfer waren. Ein über Jahrzehnte gepflegtes Geschichtsbild löst sich auf, alles ist in Bewegung."
Diese Worte sprach kein deutscher Journalist, Politiker oder Heimatvertriebener und es bezog sich auch nicht auf die neue Offenheit deutscher Medien für das Thema Flucht und Vertreibung.
Diese Analyse stammt vielmehr von Ryszard Krol, dem Leipziger Generalkonsul der Republik Polen. Er hatte sie im Rahmen des von der Landsmannschaft Ostpreußen (LO) organisierten 5. Kommunalpolitischen Kongresses gegenüber polnischen Kommunalpolitikern und ostdeutschen Heimatkreisvertretern abgegeben. Nicht nur das Auditorium zeigte sich positiv überrascht. Krol selbst wirkte sichtlich bewegt. Solche Worte kennt man von deutscher, nicht aber von offizieller polnischer Seite.
Krol mahnte, von dem BdV-Präsidiumsmitglied und Kösliner Kreisvertreter Klaus Moerler auf das Zentrum gegen Vertreibungen angesprochen, zur Zurückhaltung. „Erwarten Sie nicht, daß wir uns heute und hier über das Thema
einigen. Gleichwohl", so bekannte Krol, „die Geschichtsbilder beider Nationen bewegen sich aufeinander zu." Die Randbemerkung Krols, man wisse ja, daß in Polen noch immer von „Ausgesiedelten", nicht aber von „Vertriebenen"
gesprochen werde, ließ Bewegung im polnischen Geschichtsbild durchschimmern.
Der Generalkonsul sprach sich nicht explizit gegen das Zentrum aus, sehr wohl aber für den Dialog. Krol, der im Auftrage des polnischen Botschafters Dr. Andrzej Byrd auf dem Kongreß über deutsch-polnische Partnerschaften in Sachsen referierte, brachte eine Fülle von gemeinsamen Projekten zur Sprache, die im Rahmen der überregionalen Partnerschaft zwischen dem Freistaat Sachsen und der Woiwodschaft Niederschlesien realisiert worden sind. Weniger sein Fachreferat, als
vielmehr seine Offenheit im Rahmen der Diskussionsrunde brachte dem Generalkonsul deutlich Sympathiepunkte im Auditorium ein.
„Natürlich haben die Polen mit ihren Vorstellungen über die Geschichte noch einen weiten Weg vor sich", so ein deutscher Kongreßteilnehmer, „aber solche Erkenntnisse habe ich von einem Offiziellen Polens nicht erwartet."
Ein großer Teil der polnischen Landräte und Bürgermeister fühlt sich durch solche Auftritte in seinen Partnerschaften mit den Vertriebenen bestärkt. Der Allensteiner Landrat Adam Sierzputowski, der neben dem stellvertretenden Sprecher der LO, Bernd Hinz, den Kongreß leitete und moderierte, gab auch den Grund hierfür an. „Es ist wichtig, daß wir Polen diesen Dialog auch der polnischen Seite vermitteln können." Optimistisch anfügend, „unser Werk wird uns ganz bestimmt nicht zur Schande gereichen."
Doch von vorn: Ort des Geschehens ist ein ansehnlicher Kongreßsaal der belle epoque in einem Dresdner Hotel. Und trotz des Rummels rund um die Nachwahlen des Bundestagsabgeordneten im Dresdner Wahlkreis 160 wirkt die Szene ruhig und routiniert.
Man kennt und schätzt sich. Eintreffende, seien es polnische Landräte oder Bürgermeister aus Ostpreußen, Westpreußen oder Schlesien, seien es ostdeutsche Kreisvertreter aus denselben Regionen, wer den herzlich begrüßt. Lediglich eine von allen polnischen Medien kommunizierte Warschauer Pressekonferenz der Preußischen Treuhand vom Vortag, eine Woche vor der Wahl des polnischen Staatspräsidenten, bringt die Gespräche der abendlichen Gesellschaft etwas in Wallung. Die Analyse fällt aber letztlich in jeder Runde gleich aus. Die Treuhand mache Wahlwerbung für den polnisch-nationalistischen Kandidat
en der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Lech Kaczynski. Am darauffolgenden Tag geht auch der ehemalige Bundesinnenminister und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble, in seiner Ansprache auf die Ereignisse in Polen ein. Und was er sagt, hat für die Kongreßteilnehmer offensichtlich Gewicht. „Wir wissen es zu
schätzen, daß Sie mitten im Dresdner Wahlkampf und trotz der Prozesse um die Regierungsbildung in Berlin bei uns sind", betont Tagungsleiter Hinz.
Schäuble selbst hält den Kongreß für eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme, der „zum richtigen Zeitpunkt" stattfinde.
Die gemeinsame Aufgabe sei nun Europa. „Nationale Gegensätze bedingen dabei einander", so Schäuble weiter. Auf die Politik der Preußischen Treuhand anspielend erklärt er, daß es „eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wie es die Gerichte kennen", in der Geschichte nicht gebe. Man müsse aber sehr wohl an Vertreibungen als Mahnung für die
Zukunft erinnern. „Einen Rückfall in nationalistische Schemata darf es dabei nicht geben", warnt Schäuble.
Die Mahnung richtet sich aber offensichtlich auch an die polnische und deutsche Medienwelt.
Theodor Heuss, so erinnert Schäuble, habe einmal gesagt, bestimmte Störungen solle man „noch nicht einmal ignorieren."
Hinsichtlich seiner Erwartungen an die kommenden polnischen Präsidentschaftswahlen erklärt er, man müsse die Wahl des polnischen Staatspräsidenten zunächst einmal abwarten. „Ich hoffe allerdings", so Schäuble mit Blick auf die polnisch-nationalistischen Kaczynski-Zwillinge, „daß vieles, was vor der Wahl gesagt worden ist, nach der Wahl anders angegangen wird." Kwasniewski sei für seine vermittelnde und mäßigende Politik zu danken.
Die deutschen Heimatvertriebenen hätten ihrerseits den Friedensnobelpreis für ihre Charta und Friedenspolitik verdient. Trotz solcher Einschätzungen weiß Schäuble um die Imageprobleme dieser Form des Aufeinandertreffens von Funktionsträgern der deutschen Vertriebenenverbände und der polnischen Kommunalpolitik. Für die Dialogspolitik könne er nur danken und die erforderliche Kraft wünschen.
Einen furiosen Auftritt hat der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/SU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz. Den Dresdner Wahlkampf unterbrechend, läßt er es sich nicht nehmen, kurzfristig dem Kongreß seine Aufwartung zu machen. Der Mathematik er und ehemalige sächsische Staatsminister für Umwelt referiert in 30 Minuten mitreißend, akzentuiert, bruchlos und in sich schlüssig über die tausendjährige deutsch-polnische Geschichte, ihre Höhepunkte und Tiefen, um
in einem engagierten Plädoyer für das zusammenwachsende Europa gerade auch zwischen Polen und Deutschland zu münden. Ein Referat, das selbst die Simultandolmetscher mitreißt und Tagungsleiter Hinz, im Applaus fast untergehend, nur noch als „wahre Meisterleistung" werten kann.
Ortswechsel. Im Rahmen eines Empfangs des Oberbürgermeisters im Dresdner Rathaus gibt der Europareferent der Stadt, Jörg Timm, Einblick in die Projektarbeit der Städtepartnerschaft zwischen Dresden und Breslau und der Euroregion Elbe/Labe, aus der inzwischen eine vergrößerte „Euregio Sachsen-Niederschlesien-Nordböhmen" geworden ist. Zu kritisieren ist nach Timms Auffassung, „wenn einige noch immer verkrampft mit der Geschichte umgehen, zwar Warschau und Prag statt Warszawa und Praha, nie ab er Breslau und Aussig, sondern immer nur Wroclaw und Ustinad Labem zu sagen
wagen." Er werde auch gegenüber seinen polnischen Schwiegereltern weiterhin von Breslau sprechen.
Der sächsische Staatsminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, der im Auftrage von Ministerpräsident Professor Dr. Georg Milbradt sich an dem Kongreß beteiligt, wird in Bezug auf den Zustand der Verwaltungsstruktur des Landes deutlich. Die Hauptprobleme dieser Zeit seien der abrupte Geburtenrückgang, die Bürgerferne der Verwaltung und die gänzlich überregulierten Verwaltungsverfahren. „Ich sage es offen und ehrlich", so der Minister, „ich vertrete die These, eine komplizierte Gesellschaft benötigt auch einfache Gesetze." Das führe zwar zu bedauerlichen Ungerechtigkeiten im Einzelfall, sei dafür aber in einer von Sparzwängen genötigten Verwaltung effizient. Steuermehraufkommen diente neben nicht mehr der Verteilung, so de Maizière, sondern nur noch dem Schuldenabbau.
Von dem Verlauf des Kongresses zeigt sich der stellvertretende Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen, Bernd Hinz, zufrieden. Man komme Schritt für Schritt voran und stoße von Jahr zu Jahr in neue Dimensionen vor. Der Dialog werde fortgesetzt. Hinz, in seiner Funktion als Kreisvertreter von Pr. Holland, und Sierzputowski (als Sprecher der südostpreußischen Landräte) verkündeten die Gründung einer „Arbeitsgemeinschaft kommunalpolitische Partnerschaft".
BERNHARD KNAPSTEIN