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Beben in Ostpreußen: Erst 1912 wurde in der Nähe der Försterei Groß Raum eine Erdbebenwarte auf Betreiben des Geologen Alexander Torquist und des Seismologen Emil Wiechert in Betrieb genommen
Foto: Bildarchiv OstpreußenBeben in Ostpreußen: Erst 1912 wurde in der Nähe der Försterei Groß Raum eine Erdbebenwarte auf Betreiben des Geologen Alexander Torquist und des Seismologen Emil Wiechert in Betrieb genommen

Wie Ostpreußen mehrfach erzitterte

Das erste Ereignis wird in einer Chronik aus dem Jahr 1326 erwähnt – danach bebte die Erde wiederholt

Wolfgang Kaufmann
10.12.2020

Das Gebiet Ostpreußens zählt nicht gerade zu den geologisch besonders aktiven Regionen unseres Planeten. Daher spielt auch die Erdbebengefahr in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle – sehr zu Unrecht, wie der Blick in die ältere und jüngere Vergangenheit zeigt.
Die Ostsee wird von tektonischen Störungslinien durchzogen, welche daraus resultieren, dass sich die Absenkung des baltischen Raumes nach dem Ende des Eozän vor rund 34 Millionen Jahren in eine Hebung verwandelte. Dadurch entstand unter anderem die Tesseire-Tornquist-Zone im Grenzbereich zwischen dem Baltischen Schild und dem östlichen Mitteleuropa. Diese strukturgeologische Nahtstelle erstreckt sich vom Unterlauf der Donau bis nach Skandinavien und verläuft auch an Ostpreußen vorbei. Deshalb kam es dort immer wieder zu Erdbeben von teilweise beachtlicher Stärke. Durch historische Quellen bezeugt beziehungsweise mittels neuzeitlicher seismischer Messungen bestätigt sind dabei sieben solcher Ereignisse.
Sieben Erdbeben gemessen
Von dem ersten berichtet das „Chronicon Terrae Prussiae" (Chronik des Preußenlandes) aus der Feder des Peter von Dusburg, das im Auftrag von Werner von Orseln, des 17. Hochmeisters des Deutschen Ordens, entstand und 1326 fertiggestellt wurde. Der Verfasser, welcher aus der niederländischen Provinz Gelderland stammte und entweder auf der Marienburg oder im Ordenshaus Ragnit tätig war, berichtete seinerzeit, dass sich am 8. August 1303 „zur dritten Tagesstunde ein Erdbeben im gesamten Preußenlande" ereignet habe: „Dreimal erzitterte die Erde mit den Gebäuden, sodass kaum einer das Hinstürzen vermeiden konnte." Und in einem späteren Nachtrag zu diesem Geschichtswerk ist dann außerdem auch noch von der Zerstörung der 1313 von den Ordensrittern am Memel-Ufer errichteten Burg Christmemel am Tage von St. Petri Kettenfeier, also dem 1. August, des Jahres 1328 die Rede: „Die Erde erzitterte so schrecklich, dass hohe Gebäude zusammenzustürzen drohten und dass die, die sich in ihnen aufhielten, schon auf den Erdboden niederspringen wollten, um dem Tod zu entgehen."
Ein weiteres Beben im seismisch alles andere als inaktiven Ostpreußen fand am Sonntag, dem 23. Oktober 1904, um 11.30 Uhr statt. Damals erschütterten deutlich spürbare Erdstöße die gesamte Region entlang der südlichen Ostseeküste zwischen Greifswald und Memel.
Das nächste derartige Ereignis wurde im Juni 1905 registriert – und am 30. Dezember 1908 schwankte die Erde in Ostpreußen wiederum. Obwohl die Erdbebenwarte nahe der Försterei Groß Raum zwölf Kilometer nördlich von Königsberg erst 1912 auf Betreiben des Geologen Alexander Tornquist und des aus Tilsit stammenden Altmeisters der Seismologie Emil Wiechert in Betrieb ging, konnten diesmal exakte Messungen der Bebenstärke durch andere Stationen in Europa erfolgen, was die Berechnung des Wertes der sogenannten Epizentralintensität (I0) direkt über dem Bebenherd erlaubte. Der lag bei rund 3,5.
Erdbebengefahr entlang der Ostsee
Danach herrschte fast ein Jahrhundert lang trügerische Ruhe, bis es am 21. September 2004 um 13.05 und 15.32 Uhr zu zwei weiteren und diesmal wieder deutlich stärkeren Erdbeben mit einem Epizentrum 40 Kilometer südöstlich von Königsberg kam. Nunmehr lag die aus den Messungen ermittelte Epizentralintensität bei immerhin 5,8 beziehungsweise 6,2.
Neben diesen Beben in Ostpreußen gab es noch einige weitere vergleichbare Erdstöße in den angrenzenden Regionen zwischen der Odermündung und der litauischen Ostseeküste samt Hinterland. Das erste dieser Beben mit einer Epizentralintensität von vermutlich 5,0 ereignete sich 1606, und die anderen zehn an folgenden Tagen (in Klammern jeweils der I0-Wert): 30. Juni 1616 (6,0), 29. August 1907 (4,0), 29. und 30. Dezember 1908 (insgesamt drei Beben mit jeweils 7,0), 11. und 12. Februar 1909 (4,5 und 6,0), 1. Dezember 1912 (3,5), 13. September 1920 (4,0) und 29. April 1988 (ca. 3,6).
Bau des Atomkraftwerks eingestellt
Dies unterstreicht ebenfalls, dass durchaus eine Erdbebengefahr entlang der südlichen Ostseeküste besteht, obzwar die Stärke der seismischen Ereignisse in der Vergangenheit manchmal nur gering ausfiel. Dennoch ist der Betrieb von Kernkraftwerken im Königsberger Gebiet sowie den angrenzenden Regionen der Republik Polen und der baltischen Staaten offensichtlich auch aus diesem Grunde mit ernst zu nehmenden Risiken behaftet.
Insofern wurde mit der Nichtfertigstellung des geplanten Atommeilers Baltijskaja unweit von Ragnit [Neman] vielleicht eine ähnlich große Nuklearkatastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima verhindert.