Rund 1000 Menschen kamen in Wolfsburg zusammen. Als Ehrengast erschien auch Litauens Botschafter
Nach dreijähriger Zwangspause kamen am 11. Juni wieder rund eintausend Besucher zum Ostpreußentreffen in Wolfsburg zusammen. Das Treffen stand ganz unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine. Krieg, Vertreibung, Flucht – die Duplizität der Ereignisse in der Ukraine mit ihrem Schicksal im Jahre 1945 stehe allen Ostpreußen vor Augen, so Stephan Grigat, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen (LO), der nach einem Geistlichen Wort von Pfarrer Manfred Schekahn die Festansprache hielt.
Der Krieg sei für ihn noch einige Tage vor dem Ausbruch undenkbar gewesen. Putins Versuch, die Grenzen in Europa mit Gewalt zu verändern, sei „ein Tabubruch, eine Grenzüberschreitung, für die es kaum Worte gibt". Grigat blickte dabei auch auf ein Vierteljahrhundert guter Zusammenarbeit mit russischen Partnern im heute russischen Teil Ostpreußens zurück: „Die Menschen, die viele Jahre mit uns zusammengearbeitet haben, haben Angst." Repressalien von Ausreiseverboten bis zum Verlust der beruflichen Position hätten schon vor dem Ukrainekrieg begonnen.
„Starke Ausstrahlung nach Litauen"
Jedoch: „An diesen Menschen hängt unsere Hoffnung, dass Russland doch noch die Kraft findet, sich aus sich selbst heraus zu reformieren und in den Kreis der zivilisierten Staaten zurückzukehren", so Grigat. Sehr zufrieden zeigte sich der LO-Sprecher mit der Zusammenarbeit mit den polnischen Partnern der Ostpreußen, von denen viele längst Freunde geworden seien. „Ostpreußen lebt", so Grigat, denn „die Geschichte kennt keine Stunde Null und sie kennt kein Ende".
Als Vertreter der gastgebenden Stadt begrüßte Dennis Weilmann, Oberbürgermeister von Wolfsburg, die Teilnehmer. Er betonte, wie stark die deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge zum Aufbau der jungen Autostadt nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hätten.
Als prominentester ausländischer Gast war der Botschafter Litauens, Ramūnas Misiulis, nach Wolfsburg gekommen. Misiulis lobte die langjährige Kooperation mit der Landsmannschaft.
Der Botschafter hob die historisch starke Ausstrahlung Ostpreußens auf seine Heimat hervor. So sei das erste Buch in litauischer Sprache in der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg im 16. Jahrhundert gedruckt worden. Ein Ostpreuße habe die Bibel ins Litauische übersetzt.
Und im 19. Jahrhundert, als Litauen zu Russland gehörte und starken Versuchen der Russifizierung ausgesetzt war, sprangen laut Misiulis die ostpreußischen Nachbarn in die Bresche. Ostpreußische Verleger hätten damals 1800 Bücher in litauischer Sprache mit sechs Millionen Stück Gesamtauflage in Königsberg drucken lassen, die dann nach Litauen geschmuggelt worden seien, wo es verboten gewesen sei, in litauischer Sprache zu publizieren.
1945 indes hätten litauische Familien ostpreußische Kinder aufgenommen, die in den Wirren der Flucht ihre Eltern verloren haben, die sogenannten Wolfskinder. Angesichts von Putins Aggression appellierte der Botschafter an die Deutschen, führend bei der Unterstützung der Ukraine zu werden. Im Falle eines Sieges werde sich Putin nicht mit der Ukraine zufrieden geben. Später kämen die baltischen Staaten, Polen und irgendwann auch Deutschland an die Reihe.
Vereine wollen Warschau verklagen
Ein durchwachsenes Bild zeichnete Heinrich Hoch, Vorsitzender des Verbandes der deutschen Gesellschaften in Ermland und Masuren. Von den rund 10.000 Angehörigen der deutschen Minderheit im südlichen Ostpreußen seien 3800 Mitglieder der deutschen Vereine. Die Zahl der Kinder, die in Deutsch als Muttersprache an den Schulen unterrichtet werden, sei seit dem Start des Unterrichts 2005 von 100 auf 2200 gestiegen. Allerdings habe die polnische Regierung den Zuschuss zuletzt so gekürzt, dass statt drei Wochenstunden ab September nur noch eine möglich sei. Die Kürzung treffe allein die deutsche und keine andere Minderheit in Polen. Daher werden man beim Europäischen Gerichtshof gegen die Kürzung klagen, so Hoch.
Traditionell wird an den Ostpreußentreffen der Ostpreußische Kulturpreis verliehen. Der mit 5000 Euro aus Mitteln der Bayerischen Staatskanzlei dotierte Preis ging dieses Jahr an das Bildarchiv Ostpreußen. Dessen Leiter Manfred Schwarz, der den Preis entgegennahm, nutzte seine Dankesrede, um einen kurzen Überblick über die Arbeit des Archivs zu geben. 133.000 Bilder und 6.000 Kartenwerke seinen mittlerweile erfasst, 640.000 Zugriffe im Internet allein 2021 zeigten, wie stark die Arbeit des Archivs angenommen würde. „Die Bilder sind unser Langzeitgedächtnis", so Schwarz, jeder bekomme Zugang.