Masuren - Einführung

Masuren – Einführung„Masuren ist die Harfe und das Spiel der Winde!”, so sagte der lange Jahre in Lötzen ansässige Dichter Hansgeorg Buchholtz, und erzählt dann weiter:

„Wenn der Wind an der Angerapp aufsteht und an den hügelgelegenen Gehöften und an ihren strohbedeckten Firsten vorbeistreift, hat er nach Süden, nach Westen, nach Osten tausendfach sein Spiel auf den glasglitzernden blauen Seen, im flüsternden Uferschilf, in den rauschenden Wäldern, die von Wasser zu Wasser die dunklen Kronen über das wellige Land wölben. Ob die Herbststürme Wellen peitschend mit düsteren Wolken darüber hinbrausen, ob der Winter in sein weißes, starres Schweigen seine Sonnenblitze setzt, ob der Sommer seine heißen Gluten darüber ausgießt, immer ist ein verhaltener Zug in seinen Linien und Lichtern, immer ist ein besinnlicher Ernst und eine herbe Schwere über ihm. Selbst der Frühling ist anders dort als überall. Jäh und süß neigt er sich über die Erde, und voll vom Rausch des Wachstums und der Blüten und schwer von der Ahnung der Frucht sind seine hellen Nächte.

Masurische Flur

Masurische Flur

Wenn im Frühjahr der Schnee von den Hängen weicht, taucht das Eis der Seen im Tauwasser unter. Der Wind reißt es auf und schiebt die Schollen ins Weite. Wie ein unbändiges, jubilierendes Gelächter klingt das Klirren der kleinen Eisstücke am Ufersaum. Das Wasser erwacht, das Leben ist da. Bald läuten wie Glocken die Unken aus Tümpeln und moorigem Vorland. Teichrohrsänger singen, und der Chor der Frösche schwebt – monotones Schwingen – im Schweigen der Nacht. Seen gibt es, eingebettet in endlose Wälder, dunkelgrüne Inseln in ihren blauen Schoß schließend, an deren Ufer Fischreiher horsten. Es gibt Seen, plötzlich wie ein Stück Himmel in die Wälder gesenkt und moorschwarz und düster im Schatten überhängender Wipfel – und Seen, schmal und tief in kahle Hügelzüge eingenagt, an deren Buchten sich die Dorfhütten schmiegen. Andere wieder holen in weiten flachen Buchten aus und wieder andere stürzen vom Uferhang bis zu einer Tiefe ab, die 60 und mehr Meter mißt.”

Unendlich vielseitig ist das Gesicht der masurisdien Landschaft, und vielfach sind auch die Lieder, die zu ihrem Preis gesungen wurden.

Aber darf man, wenn man von einer Landschaft berichten will, sie nur mit den Augen der Dichter sehen? Müßte man sie nicht vordringlich schauen mit den Augen der Menschen, die auf diesem Stück Erde im Schweiße des Angesichts ums tägliche Brot geschafft haben? Müßte man nicht auch an die vielen denken, die vor uns waren und mitgeholfen haben, das geistige Gesicht dieser Landschaft zu prägen, ja, und nicht zuletzt müßte man an die denken, deren ganzes Lebenswerk darin bestand, dieses Gesicht der Landschaft zu deuten, zu erforschen und wissenschaftlich zu ergründen.

So soll denn hier erzählt werden, was es an Wissenswertem über Masuren zu berichten gibt, denen, die dort lebten, zur Erinnerung, denen, die das Land nicht kannten, zur inneren Bereicherung, vornehmlich aber für unsere ostdeutsche Jugend, damit im Wissen um die Heimat der Väter auch ihr dieses Land zur wahren, unverlierbaren Heimat wird.

Die Landschaft Masuren

Mit dem Namen Masuren bezeichnet man den südlichen Teil Ostpreußens, den seenreichen Teil des Baltischen Höhenrückens zwischen der Kernsdorfer Höhe im Südwesten und dem Goldaper Hochland im Nordosten. Eine Fülle von blinkenden, nicht selten von Inseln belebten Seespiegeln, begrenzt von oft steil ansteigenden, prächtig bewaldeten Ufern, Berge mit köstlichen Fernsichten, weite einsame Wälder, durch träumerische Waldesstille führende Flußtäler, verleihen manchen masurischen Landschaften ihre ganz besonderen Reize. Auch der Weitgereiste wird sich dem idyllischen Zauber der schönsten Partien Masurens nicht entziehen können; wohl erinnern sie an andere norddeutsche Gegenden, die unter ähnlichen geologischen Bedingungen entstanden sind, etwa an die Umgebung der Havelseen, aber vor diesen haben sie die stille, einsame Unberührtheit der ganzen Natur voraus.

Nach Professor Dr. H. Lullies

Die Geschichte Masurens

Schon von jeher ist Masuren – bis 1870 als Landschaft Galinden bekannt -, gegeben durch die natürliche Lage, ein Land der Grenze gewesen. Bevor Ostpreußen durch den Ritterorden der deutschen Kultur erschlossen wurde, waren in diesen Gebiet die Pruzzen oder Altpreußen ansässig, ein baltischer Volksstamm. Sie waren Heiden und verehrten in Perkunos, in Potrimpos und in Pikollos die großen Naturgewalten, durch die sie sich in ihrem Dasein begnadet, aber auch bedroht fühlten.

Schon vor dem Orden hatten die benachbarten Polen, oft unter Zuhilfenahme von Feuer und Schwert, vergeblich versucht, diesen naturverbundenen Pruzzen das Christentum zu bringen. Schließlich rief im Jahre 1225 der polnische Fürst Konrad von Masowien den Ritterorden zu Hilfe und sicherte ihm alles Land zu, das er in Besitz nehmen würde. Damit begann das einmalige Kolonisationswerk, an dem sich Ritter aller europäischen Staaten beteiligten. Schon Anfang des 14. Jahrhunderts, also rund 200 Jahre bevor man Amerika für den europäischen Westen entdeckte, wurde durch die Bauten von Ordensburgen und Häusern der Grundstein auch zu den meisten masurischen Städten gelegt. Damit wurde auch das weite Land der Wälder, Seen und Moore, das nach dem Willen der Ordensmeister lange Zeit unbesiedelt geblieben war, um als „Wildnis” eine natürliche Grenze nach Norden und Osten zu bilden, immer mehr kultiviert. Bald fand auf friedlichem Wege eine Vermischung der altpreußischen Bevölkerung mit den westdeutschen Siedlern statt. Sie waren ja nicht nur durch den gemeinsamen Glauben verbunden, sondern auch durch die gemeinsame Arbeit an dieser urwüchsigen Erde, deren geheimem Zauber sich die Menschen vielleicht schon damals nicht entziehen konnten, genauso wie zu unserer Zeit. Wenn auch der Orden im Jahre 1410 in der Schlacht von Tannenberg entscheidend geschlagen wurde und langsam an Bedeutung verlor, so hatte er darum seine große Aufgabe dennoch erfüllt.

Ein masurischer See

Ein masurischer See

Ein deutsches Bollwerk Europas war geschaffen worden, das durch die Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum unter Albrecht von Brandenburg (1525) und durch die damit verbundene Reformation nur noch gefestigt wurde. Rund 700 Jahre hat dieses Bollwerk seine Aufgabe erfüllt.

Immer wieder wurden gerade von den Bewohnern des Grenzgebietes größte Opfer an Gut und Blut gefordert. Anfang des 17. Jahrhunderts spielte sich der schwedisch-polnische Krieg auf masurischer Erde ab und brachte die furchtbaren Tatareneinfälle mit, die von einer Grausamkeit ohnegleichen gewesen sein müssen, so daß die Tatarenangst noch lange wie ein Alpdruck die Gemüter der Menschen belastete und sich in ihren Sagen und Märchen widerspiegelte. Im Gefolge der Kriege kam die Pest, es kamen Viehseuchen, Unwetterkatastrophen, ja, den Plagen Ägyptens gleich traten neben den Verwüstungen durch Ratten und Mäuse im Jahre 1711 Heuschreckenschwärme auf, eine für diese Breiten ungewöhnliche Erscheinung, und in einer Fülle, daß, wie es in einem Bericht heißt, „die Sonne vor ihnen verdunkelt wurde und man die Erde für ihnen nicht mehr hat sehen können”. Was Krieg und Pest verschont hatten, rafften dann die folgenden Hungersnöte dahin.

In dem Bestreben, das entvölkerte Land wiederaufzubauen, wurden immer wieder neue Siedler herbeigezogen. So wie die Salzburger im Regierungsbezirk Gumbinnen heimisch wurden, so wie die Hugenotten mit ihrem Handwerkerfleiß hauptsächlich in den ostpreußischen Städten Fuß faßten, so wie holländische Mennoniten ihre Kenntnisse von der Trockenlegung von Sümpfen an den Ufern von Nogat und Memel verwandten, so wie alle diese Zugewanderten zum ostpreußischen Volksstamm wurden, so waren schon zur Zeit der Reformation große Teile der benachbarten masowischen Bevölkerung in Masuren angesiedelt worden. Ihre Sprache hatte sich sehr bald vermischt mit der damals noch sehr lebendigen Sprache der Altpreußen, für die übrigens noch zur Zeit Herzog Albrechts eigene Gesang und Predigtbücher gedruckt wurden. Auch dies möge als Zeichen gewertet werden, daß die alten Pruzzen vom Orden nicht ausgerottet worden sind, wie verleumderische Stimmen gerne sagen. So entstand, angereichert durch deutsche Wortbildungen, die masurische Mundart, die sich in ihrer Eigenart grundlegend von der polnischen Sprache unterscheidet. Hauptsächlich unter der Landbevölkerung verbreitet, konnte man dies Masurische noch bis zuletzt von alten Leuten hören. Im Zuge der Zeit sind die masowischen Einwanderer zu dem Stamm der deutschen Masuren geworden, der seine Treue zum deutschen Volk und Reich in der Abstimmung am 11. Juli 1920 mit einem Abstimmungsergebnis von 97,8 % bewiesen hat.

Im Gegensatz zu den Masowiern haben die Philipponen, die aus religiösen Gründen ihre russische Heimat verließen und sich, verhältnismäßig gering an Zahl, in der Gegend um das Dorf Eckersdorf ansiedelten, bis zuletzt mit dem alten Glauben auch die alten Sitten und Gebräuche bewahrt. Ihre Kolonie in Eckersdorf, dazu das eigenartige Nonnenkloster am nahen Duss-See, war wie eine fremde Oase, eine kleine Sehenswürdigkeit mitten im masurischen Land. Diese zahlenmäßig winzige Gruppe von religiösen Flüchtlingen sei nur erwähnt, um zu zeigen, daß Preußen ein wahrer Hort der Toleranz war und jeden „nach seiner Facon selig” werden ließ.

Das Schicksal Masurens war eng mit dem des jungen preußischen Staates verknüpft. Vier Jahre lang ertrug Masuren russische Besatzung während des Siebenjährigen Krieges und französische Besatzung während des „Unglücklichen Krieges” von 1806/07, wie es in den alten Schriften heißt. Um die fremden Truppen und ihre Pferde zu verpflegen, mußte oft das letzte Saatgut geopfert, das junge, grüne Korn auf den Feldern gemäht und das eigene Vieh mit dem Stroh der Dächer gefüttert werden! Und trotzdem folgten im Jahre 1813 die Einwohner Masurens bereitwillig dem Aufruf zur Aufstellung freiwilliger Landwehrregimenter, so daß vom Osten her die Befreiung Preußens ihren Anfang nehmen konnte.

Auch im Ersten Weltkrieg wurden nach den Russeneinfällen auf masurischer Erde die großen Befreiungsschlachten geschlagen, auch im Ersten Weltkrieg zogen Flüchtlingstrecks über die ostpreußischen Straßen und durch die masurischen Wälder, auch im Ersten Weltkrieg gab es verwüstete Felder, vernichtete Dörfer, zerschossene Städte. Und doch hat wohl kaum ein anderes Volk seine Verbundenheit mit der angestammten Heimat so einmütig bekundet, wie die Masurenestaten, als sie, trotz des verlorenen Krieges und trotz der polnischen Lockungen, sich bei der schon erwähnten Abstimmung im Jahre 1920 fast einhundertprozentig zu Deutschland bekannten! Das sind Tatsachen, die nicht vergessen werden dürfen!

Konnten die Wunden des ersten Krieges noch geheilt und das schwergeprüfte Land einer neuen Blüte entgegengeführt werden, so brachte der letzte Krieg, der in Wahrheit ein „Unglücklicher Krieg” war, mit seiner Massenvernichtung und Massenvertreibung unsagbares Elend auch über das masurische Land und über die masurischen Menschen, von denen so viele die Heimat nicht mehr verlassen konnten oder auch nicht verlassen wollten, aus Liebe und Treue zu ihrem Land.

Die Menschen Masurens

Vielerlei ist über die Masuren berichtet worden, und mancher glaubte wohl, sie ihrer ursprünglichen Einfachheit wegen belächeln zu dürfen. Die sogenannten Segnungen der Kultur, die wir lieber als Zivilisation bezeichnen möchten, sind verhältnismäßig spät in dieses weiträumige Land gekommen. Wie konnte es bei den schwierigen Verkehrsverhältnissen anders sein, als selbst noch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg der “Rasende Masur”, der getreu bei jedem Dörfchen hielt, oftmals die einzige Verbindung war zur weiten Welt. Es gibt Ortschaften, die 20 km und mehr von der Bahnstation entfernt liegen, ganz zu schweigen von den abgelegenen kleinen Hofstellen an irgendeinem kleinen See, in irgendeinem großen Walde, zu denen nur die Wegspuren eines Feldweges führen. Trotz der großen Abgeschlossenheit und trotz der harten Lebensbedingungen ist gerade aus Masuren neben dem bäuerlichen Kunsthandwerk, von dem noch zu berichten sein wird, ein unerhört reicher Schatz an schönsten Volksliedern überliefert, Lieder, die noch bis in die letzte Zeit viel und gern gesungen wurden. Die masurischen Lieder haben fast alle etwas Fröhliches, herzlich Warmes an sich, im Text wie auch in den Melodien – im großen Gegensatz zu den litauischen Dainos, die auf der Nehrung noch viel gesungen wurden und die oft von einer großen Schwermut sind.

Die Masuren waren von Natur aus gutmütig, fleißig und bescheiden, sehr gastfreundlich und immer bereit, die kleinen Freuden des Daseins dankbar zugenießen.

Seen und Stille, das ist Masuren

Seen und Stille, das ist Masuren

Wandert man durch ein masurisches Dorf, dann freut man sich an dem warmen Ton, den die zumeist der Straße zugekehrten Giebel ausstrahlen. Es ist die Wetterfarbe dieser altersgrauen Häuser, es ist das Holz, das eben ein besonders anheimelnder Baustoff ist. Die Art der Holzverschalung wechselt ständig, der mannigfaltige Giebelschmuck desgleichen. Der Giebel des Hauses ragt häutig etwas vor und ist dann mit zwei oder drei hölzernen Säulen abgestützt. Die Spitze des Giebels ist stets mit einem Holzzierat versehen. Diese Zier ist fast an jedem Haus des Dorfes anders. Die Ausschmückung des Giebels ist eine Art volkstümlicher Kunst, die sich bis auf unsere Tage in Masuren erhalten hat. Der Bauer in Masuren lebt in geschlossenen Dörfern oder in den verstreut liegenden Abbauten. Die liegen inmitten der Acker und Wiesen. Besonders in der hügeligen Kuppenlandschaft des Landes ist diese Siedlungsform verbreitet.

Um den Hofraum herum sind die Wohn- und Stallgebäude in einem Viereck angeordnet. Auch der hölzerne Ziehbrunnen befindet sich dort. Nach der Erntezeit begegnet man überall im Lande hohen Getreide- oder Heuschobern, die ein besonders Schutzdach tragen, das sich zwischen den vier Pfählen, je nach der Menge des vorhandenen Erntegutes, höher oder tiefer stellen läßt.

Da die weißen Nächte des Nordens in ganz Ostpreußen sehr viel mehr in Erscheinung traten als im westlichen Deutschland, wurde auch die sommerliche Johannisnacht in Stadt und Land auf eine besondere Art gefeiert. So ließ man gern brennende Teertonnen auf den See hinausschwimmen.

Bestieg man den Turm oder den Bodenraum einer Kirche, hielt man vielleicht vor zahlreichen Särgen an. Auf jedem stand der Name und der Wohnort des Besitzers. Es war ein Brauch, sich schon zu Lebzeiten den Sarg zu kaufen. Mancher hatte ihn auch auf dem Hausboden. Die Äpfel wurden darin aufbewahrt oder der Roggen. Man wußte um die Vergänglichkeit des Lebens und man nahm darum das Mehl zum Brot oder Apfel für die Kinder zum fröhlichen Fest getrost aus jener letzten Behausung, die man für seinen Leib bereitgestellt hatte. Tod und Leben waren dicht beieinander. Man lebte nicht umsonst an der Grenze und nicht umsonst in dieser Landschaft, die so reich an Licht und an Schatten ist.

Man kann wohl sagen, daß dieser Schatten, der schon aus alten Notzeiten her auch über dem Leben der masurischen Menschen lag, sich am meisten in den alten Sagen und Märchen ausprägte. Da ist das Erschauern vor den dunklen Mooren, vor der unheimlichen Wassertiefe, vor dem Wassermann, der in Masuren Dobnick oder Topich genannt wurde. Der Mensch, war er nicht oft genug hilflos den Naturgewalten ausgeliefert? Gab es nicht vielleicht doch in Wirklichkeit Kobolde und Waldgeister, die einen neckten oder in die Irre führten? Und wie war es mit den “Untererdschen”, von denen die kleinen Kinder bedroht waren? Es wurden viele Geschichten erzählt in Masuren, die Winterabende waren ja so lang, und es lohnt sich schon, sich mit dem reichen Schatz an Sagen und Märchen zu beschäftigen, wenn man den masurischen Menschen kennenlernen will.

Ein origineller Vertreter des masurischen Volkstums war der Pfarrer Michael Pogorzelski, der in Lepaken bei Lyck 1737 geboren wurde und gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Kalinowen als Pfarrer starb. Er hatte sich bei der Rettung eines auf dem See eingebrochenen Fahrzeugs und der Menschen darin eine tödliche Lungenentzündung geholt. Er war Lehrer, Organist, Schulrektor und später Pfarrer. Seine Predigten versah er häufig mit seinen eigenen drastischen Dichtungen. In seiner oft komisch-derben Sprache, in seiner kindlich-naiven Gemütstiefe, in seinem köstlichen Humor, aber auch mit seiner tiefen Lebensweisheit und echten Frömmigkeit darf man ihn wohl als Typus des masurischen Menschen bezeichnen.

Die Freunde Masurens

Ja, man darf mit Fug und Recht von den Freunden der masurischen Landschaft sprechen, überall in Deutschland, nicht nur unter den Ostpreußen, begegnet man jetzt Menschen, die sich in besonderer Liebe mit Masuren verbunden fühlen. Da gibt es so manchen Soldaten des Ersten Weltkrieges, dem diese Landschaft zu einem unvergeßlichen Erlebnis wurde, so manchen Naturfreund und Erholungsuchenden, der das Land der tausend Seen durchwanderte.

Bald nach dem Ersten Weltkrieg, als das schwergeprüfte Land wieder aufgebaut worden war, wurde auch Masuren immer mehr dem Fremdenverkehr erschlossen. Die mit Reichtümern wahrlich nicht gesegnete Bevölkerung nahm diese Gelegenheit zu einem Nebenverdienst mit freudigem Eifer auf. Die Bewohner wußten sich auch bald den Erfordernissen der Zeit anzupassen. So manches stilvolle, gepflegte Gästehaus, in dem man bei aller modernen Betriebsamkeit doch noch immer etwas von der mit Recht gerühmten Herzenswärme ostpreußischer Gastfreundschaft spürte, war der beste Beweis dafür. Man denke nur an die Gästehäuser am Marinowosee, in Rudczannv, in Treuburg, und schon wird die Erinnerung wach an vielerlei ostpreußische Nationalgerichte, an herzhaften Maitrank und süßen Bärenfang, an zarte Edelfische und rotgepanzerte Krebse.

Im übrigen war ja die Verbindung von Wasser und Wald, die Weite und Ruhe der Landschaft das ideale Gebiet für den erholungsuchenden Städter. In den abgelegenen Schluchten und Kesseln, die noch unberührt von der kultivierenden Hand des Menschen waren, die „sich in ihrer ursprünglichen, tausendjährigen Schönheit erhalten hatten”, wie Dr. Hilbert aus Sensburg, ein besonderer Kennerder masurischen Pflanzenwelt schreibt, konnte der Naturfreund so manche Seltenheit entdecken. Am Muckersee sahen wir die gewaltige Königskiefer, die drei Männer gerade umspannen konnten, in Steinort bei Angerburg die Allee jahrhundertealter Eichen und in Lindenort den riesigen Wacholderbaum, von dem es heißt, er sei der größte in ganz Europa. Auch den zierlichen Frauenschuh, eine in Deutschland nur seltene Orchideenart, fanden wir auf unseren Wanderwegen. Aus den Tiefen der Wälder dröhnte in herbstlichen Nächten der röhrende Brunftschrei der Hirsche, und über die Felder ging der Flug der Kraniche hinweg, und Adler, Reiher und Milane und auch die seltenen Kolkraben und schwarzen Störche kreisten in der blauen Luft. Weiße Schwäne brüteten in der Verborgenheit des grünen Schilfs, und dunkle Kormorane fielen im Gleitflug nieder und ließen sich wiegen von den Wellen der Seen, in deren glasklaren Fluten blitzenden Wolken gleich eine Legion von Fischen hin- und her schoß.

Vor allem aber sei hier der Freunde des Wassersports gedacht, der Paddler, die in kilometerlangen, oft wild bewegten, oft sehr romantischen Fahrten diese leisesten Straßen der Welt „durchwanderten”; der Segler, die sich in schneeweißen Booten auf den blauen Fluten tummelten, und schließlich sei auch der Freunde des männlich-harten Eissegelsports gedacht. Gejagt von den östlichen Stürmen, sausten sie mit blitzenden Kufen über die weiten, durch die verschneiten Ufer schier ins Unendliche wachsenden Eisflächen hinweg, in Geschwindigkeiten, die Raum und Zeit zu überwinden schienen.

Zu den Freunden Masurens muß man aber auch die Künstler zählen, die das Gesicht dieser Landschaft zu gestalten versuchten. Von den Malern, die sich an der Farbigkeit der sommerlichen Schönheit, an der Glut der herbstlichen Wälder begeisterten, seien Alfred Partikel, Julius Freymuth und Eduard Bischoffgenannt, dazu der jetzt bei München lebende Robert Hoffmann, der nicht nur von Geburt, sondern in seiner Vitalität und seiner Wesensart nach ein ganz „echter” Masure ist.

Dichter der masurischen Heimat sind die Brüder Fritz und Richard Skowronnek, gestorben in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts. In zahlreichen Romanen und Erzählungen haben sie die masurische Landschaft und ihre Menschen geschildert.

Kinder des Landes sind auch Frieda Jung und Walter von Sanden, der Herr von Guja, der liebende Freund von allem, was in und über den Wassern lebt. Masurens größter Sohn, Ernst Wiechert, weit über die Grenzen der deutschen Heimat bekannt, wurde im Forsthaus Kleinort, Kreis Sensburg, 1887 geboren und starb wenige Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Viele seiner Romane, vor allem die „Jerominkinder”, sind seiner masurischen Heimat entwachsen, wie auch die Selbstbiographie „Wälder und Menschen”.

Von den ostpreußischen Schriftstellern, die sich dem Land Masuren in besonderer Liebe verbunden fühlten, sei neben Hansgeorg Buchhoitz und Fritz Kudnig als Vertreter der jüngeren Generation noch Siegfried Lenz genannt. Auch die weniger bekannte, in Alt-Ukta aufgewachsene, ertaubte Dichterin Gertrud Liebisch, die in der Fremde vor Heimweh nach den Wäldern ihrer Kindheit starb, sei nicht vergessen.

Das Werk aller, sei es groß oder klein, ist dem Land der dunklen Wälder gewidmet und wird davon künden, wie kurz oder wie lange, – es ist gleich. –

Quelle

Die abgedruckten Texte stammen aus den Arbeitsbriefen “Das Ermland” und “Masuren”, herausgegeben von der Landsmannschaft Ostpreußen e.V., Abteilung Kultur. Sämtliche Arbeitsbriefe können » hier kostenlos heruntergeladen werden.

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