Besuch der Guttstädter Schüler: Das Nachspiel

Von Rainer Claaßen und Alexander Bauknecht

Die Schülerreise 2008 war gelaufen. Die Beteiligten von polnischer und deutscher Seite restlos begeistert, die BJO-Verantwortlichen zufrieden. Zwölf Tage mit fünfzig Leuten, das ist schließlich keine Kleinigkeit! Und dazu die Auftritte der Polen auf dem Deutschlandtreffen der Ostpreußen, ein absolutes Novum in 60 Jahren!

Eine kleine Störung hatte es gegeben, die sich aber nachher als „Stein des Anstoßes“ herausstellen sollte – und zugleich als ein Zeichen dafür, wie hinterhältig und falsch die polnischen Behörden immer noch versuchen, die Arbeit der Vertriebenenverbände zu behindern!

Am ersten Abend des Deutschlandtreffens in Berlin übernachteten wir in der Jugendherberge Berlin-Wannsee. Neugierig, wie Jugendliche nun einmal sind, steckten unsere polnischen Gäste die Nasen aus der Jugendherberge – und liefen direkt einer türkischen Jugendbande, pardon: einer „Gruppe junger dynamischer Mitbürger moslemischen Glaubens mit Migrationshintergrund“ in die Arme!

Es stellte sich heraus, daß die „Migrationsbürger“ eine andere Freiheitsauffassung als die überwiegend gut katholischen polnischen Mädchen hatten. Es kam zu Belästigungen, denen die polnischen Jungen auf „althergebrachte Art“ ein kurzes, schmerzhaftes Ende bereiteten. Das Ende vom Lied war, daß vier Streifen- und ein Krankenwagen anrückten (der sich zum Glück nicht um unsere Gäste, sondern um einen der unter Drogen und Alkohol stehenden „Migrationsbürger“ kümmern mußte). Bei unseren Gästen gab es Schock, Heulerei und Lamento.

Nun könnte man sagen: so ist das in Deutschland; wenn Ihr das Leben bei uns kennenlernen wollt, gehören solche Erlebnisse dazu! Nein, sagen andere (zu denen auch die Verfasser gehören), wir wollen unseren Gästen doch keinen Schrecken einjagen, sondern ihnen die Schönheiten der Bundesrepublik zeigen und bei ihnen für angenehme Erinnerungen sorgen!

Jedenfalls war die Reise um. Das erste Anzeichen dafür, daß etwas „im Busche“ war, zeigte sich, als Alexander und Jarek von der Gemeinde Guttstadt aufgefordert wurden, eine schriftliche Erklärung zu unterschreiben, daß Leben und Gesundheit der Schüler auf der Reise nicht gefährdet worden waren. Beide weigerten sich mit der Begründung, diese Reise sei eine reine Schul- und BJO-Angelegenheit, die die Gemeinde nicht das geringste anginge!

Zweiter Akt: Altstadtfest in Allenstein; Jarek Kowalski begegnet dem Landrat. Dieser spricht ihn an: „Na, mein Lieber, wie ich höre, fahren Sie mit Ihren Schülern nach Deutschland und nehmen dort an Revanchistentreffen teil!“ Jarek antwortet ihm empört: „Herr Landrat, die ,Revanchisten’ haben uns fast die halbe Reise finanziert, während von Ihnen die bereits zugesagten Mittel zurückgezogen wurden! Sie haben Ihr Versprechen gebrochen, aber diese Deutschen, die früher einmal hier gewohnt haben, die haben uns geholfen!“ Ende des Dialogs. Vier Tage später wird Jarek die Aufsicht über ein geplantes Ferienlager in Deutsch Krone seitens des Landratsamtes entzogen.

Dritter Akt: Alexander und Jarek werden vor das Unterrichtskuratorium im Regierungspräsidium geladen – zum Verhör! Beide sollen einzeln vernommen werden. Jarek ist zuerst dran, Alexander wird unter Bewachung auf dem Flur sitzen gelassen. Nach zwei Stunden erhebt sich Alexander und sagt zu seinen Bewachern: „Ich habe meine Zeit nicht gestohlen, ich bin ein freier Bürger in einem freien Europa und kann gehen, wann und wohin ich will. Und dem Kuratorium können Sie einen schönen Gruß sagen, und wenn jemand etwas von mir will, soll er mich anrufen!“ Alexander geht – und zurück bleiben seine Bewacher mit ziemlich dummen Gesichtern.

Derweil kämpft Jarek drinnen mit den Mitgliedern des Kuratoriums. Vordergründig geht es um den Überfall der Türkenbande auf die polnischen Schüler, und immer wieder will man ihm und uns unterstellen, die Schüler fahrlässig in Gefahr gebracht zu haben. Aber Jarek ist längst dahintergekommen, daß man ihn unter Druck setzen will, die Zusammenarbeit mit den verhaßten „Steinbachi“ (so werden die Vertriebenen in Anspielung auf die BdV-Präsidentin Erika Steinbach von den Polen genannt) einzustellen. Jarek legt die Reiseprogramme der letzten Jahre vor und weigert sich, die Zusammenarbeit aufzukündigen, vielmehr erklärt er, diese noch vertiefen zu wollen. Auf die Vorhaltung, der Besuch der verschiedenen Ostpreußen- und Ritterordensmuseen gehöre nicht zum polnischen Lehrplan, antwortet er trotzig: „Wir finanzieren unsere Reisen selbst mit Hilfe der deutschen Vertriebenen, da bestimmen wir auch mit denen zusammen das Reiseprogramm!“

Nach fast fünf Stunden hat Jarek sich durchgesetzt, das Kuratorium entscheidet: „Machen Sie doch Ihre Reisen, wie Sie wollen!“ Das ist immerhin bemerkenswert: ein polnischer Lehrer, ein Staatsbediensteter, der nicht beim ersten Zeichen von Ungnade umfällt, sondern sich zu uns bekennt! Hat es das schon einmal gegeben?

Die Gründe für die hartnäckige Weigerung der polnischen Hoheitsträger, mit den Vertriebenen zusammenzuarbeiten, liegen auf der Hand: Die polnischen Unterrichtsbehörden fürchten, die Deutungshoheit über die Geschichte zu verlieren, wenn die polnischen Schüler erfahren, was nach 1945 in ihrer Gegend wirklich geschehen ist!

Lieber Jarek! So, wie Du im Rahmen Deiner Möglichkeiten zu uns stehst, stehen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten auch zu Dir.

Liebe Schüler! Natürlich machen wir mit unseren Reisen weiter, solange von Eurer Seite aus Interesse daran besteht.

Liebe Polen! Ihr müßt noch vieles lernen. Dazu gehört unter anderem auch, daß man nicht die Hauptbetroffenen der völkerrechtswidrigen Vertreibungen dauerhaft ignorieren oder politisch in den Schmutz ziehen kann. Die kleinen Leute in Ost-, Westpreußen und Pommern haben den Krieg sicher nicht angefangen – aber sie haben ihn verloren, und sie haben ihn bezahlt! Und die Hoffnung, wir könnten eines Tages aufgeben oder aussterben, braucht Ihr gar nicht erst zu haben – wir Ostpreußen werden nachgewiesenermaßen bis zu 120 Jahre alt, und wir sind als dickschädelig bekannt! Uns wird es noch geben, wenn die letzten „Achtundsechziger“ samt ihren Pamphleten auf dem „Misthaufen der Geschichte“ verrotten. Darum freuen wir uns – auf die künftige gute Zusammenarbeit!

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