Der Samsonow-Stein

Der Samsonow-Stein bei Willenberg

Der Samsonow-Stein bei Willenberg

Kurzbeschreibung

Bereits kurze Zeit nach Ausbruch des ersten Weltkrieges drangen russische Truppen in das nur von schwachen Kräften verteidigte Ostpreußen ein. In der Schlacht von Tannenberg wurde die russische Narew-Armee jedoch durch die von Hindenburg und Ludendorff geführte deutsche 8. Armee vernichtend geschlagen.

General Samsonow war Oberkommandierender der Narew-Armee. Nach der verlorenen Schlacht befand er sich auf der Flucht und mußte eine Gefangennahme durch die Deutschen befürchten. In dieser ausweglosen Lage nahm er sich in einem Wald südlich von Willenberg das Leben.

Am Ort seines Todes wurde nach dem Kriege ein schlichter Gedenkstein mit einer Gedenktafel errichtet. Die Inschrift lautete: “General Samsonow, dem Gegner Hindenburgs in der Schlacht bei Tannenberg, gef. 30. August 1914.” Unter der polnischen Verwaltung nach dem zweiten Weltkrieg verschwand die Tafel. Auch bei unserem Besuch 1993 fanden wir sie nicht vor. Erfreulicherweise wurde inzwischen eine Nachbildung der alten Tafel mit der Originalinschrift angebracht. Zusätzlich wurde eine Tafel mit einem erläuternden, durchaus objektiven Text aufgestellt.

Lage

Der Gedenkstein befindet sich im Wald und ist nicht ganz leicht zu finden. Man fährt von Willenberg (Wielbark) die Straße Nr. 604 in Richtung Neidenburg (Nidzica). Nach etwa 6 km überquert man eine stillgelegte Bahnlinie. Unmittelbar hinter dem Bahnübergang biegt man nach halblinks in einen Sand- bzw. Pflasterweg ein. Dieser Weg führt nach Klein Albrechtsort, das nur aus wenigen Häusern besteht. Man durchquert den kleinen Ort, dessen Dorfstraße eine rechtwinklige Linkskurve bildet, und in Höhe des letzten Hauses bzw. Gehöfts, das sich links des Weges befindet, fährt man an der Weggabelung in 2 Wege links weiter bis zu einer 3-Wege-Gabelung. An dieser Stelle folgt man dem rechten Weg. Nach 50 m finden wir rechts das Denkmal.

Unser Referenz-Reiseführer von Gerd Hardenberg rät hingegen, von Willenberg (Wielbark) aus die Straße Nr. 57 nach Süden in Richtung Chorzele zu benutzen. Etwa 6 km hinter dem Ortsausgangsschild von Willenberg biegt man kurz vor dem grünen Ortsschild von Groß Albrechtsort (Piwnice Wlk.) nach rechts in einen Feldweg ein. Die Straße hat an dieser Stelle einen merklichen Knick nach links. Man folgt dem Weg, der bald in den Wald führt, etwa 3 km. Vor dem ersten Haus, das zu Klein Albrechtsort gehört, biegt man an der Wegegabelung nach rechts ab. Nach etwa 120 m steht das Denkmal am rechten Wegesrand.

Ein Ostpreußen-Besucher informierte uns freundlicherweise, daß er im September 2008 den Waldweg von Groß Albrechtsort nach Klein Albrechtsort in einem unbenutzbaren Zustand vorfand. Schwere Traktoren hatten tiefe Furchen verursacht, so daß er mit einem normalen PKW nicht befahren werden konnte. Wir empfehlen deshalb die erstgenannte Zufahrt.

Historie

Das tragische Ende des Generals Samsonow – Sein Tod markierte zugleich das Ende einer Epoche

von Walter T. Rix

In der Nacht vom 29. auf den 30. August 1914 flüchtete noch während der Schlacht von Tannenberg der Oberkommandierende der 2. russischen Armee, General Alexander Wassiljewitsch Samsonow, mit einer kleinen Gruppe von Stabsoffizieren wie gehetztes Wild durch die Wälder Ostpreußens. Der Verlierer dieser geschichtsträchtigen Schlacht wollte dem sich immer enger zusammenziehenden Einschließungsring der deutschen Truppen entgehen. Während sich die kleine Gruppe verzweifelt durch den nächtlichen Willenberger Forst etwa 25 Km südlich von Ortelsburg tastete, hatte sich Samsonow unbemerkt von ihr entfernt. Man suchte ihn verzweifelt, und der ihn betreuende Soldat Kuptschik stöberte ihn gegen Morgen schließlich auf. Doch Samsonow schickte ihn mit hartem Befehlston fort.

Der einst so mächtige Heerführer konnte sich infolge seiner Asthmaanfälle kaum noch auf den Beinen halten. Völlig demoralisiert hatte er sich aufgegeben. Bereits während der Flucht überredete man ihn, alles abzulegen, was einer Identifikation hätte dienen können. Er empfand das als unerträgliche Demütigung und behielt deshalb wenigsten einen vom Zaren verliehenen Dolch sowie ein Medaillon mit dem Bildnis seiner Frau. Zudem lag der lange Schatten seines Rivalen, des Führers der Njemen-Armee, Paul Edler von Rennenkampff, wie ein Fluch auf ihm.

Bereits in der Schlacht von Mukden 1905 war ihm der baltische Rivale seiner Ansicht nach nicht zu Hilfe gekommen. Fast wäre es damals auf dem Bahnhof von Mukden zwischen den beiden zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen. Und wieder, so meinte Samsonow, hätte es Rennenkampff unterlassen, mit seiner von Norden kommenden Armee den Kessel zwischen Hohenstein-Grünfließ-Willenberg zu sprengen.

Mehr noch setzte Samsonow jedoch zu, daß er aus fast schon naiver Frömmigkeit heraus sein Versagen als ein Gottesgericht wertete. Er verzweifelte daran, daß er seinem Zaren und Rußland nicht in der erforderlichen Weise hatte dienen können. Alexander Solschenizyn läßt ihn in seinem Werk über die Schlacht von Tannenberg August 14 (1972) unmittelbar vor seinem Tode sagen: „Herr! Wenn Du willst, vergib mir und nimm mich zu Dir. Du siehst: nichts anderes konnte ich, und ich kann nicht anders“.

Im Folgenden weichen die Darstellungen voneinander ab. Die einen wollen nur einen Schuß gehört haben. Andere meinen, es habe einen Schußwechsel gegeben. Die Unterscheidung ist nicht unwichtig, denn in einem Falle wäre es Selbstmord, im anderen soldatischer Tod gewesen. Die Deutschen sollten seinen Leichnam später als unbekannten Soldaten im Willenberger Forst beerdigen.

In St. Petersburg wiederum wollte man der Ehefrau die Schande nicht mitteilen. Sie erfuhr das ungeklärte Schicksal ihres Mannes aus der Zeitung. Mit der unerschütterlichen Kraft einer liebenden Frau lehnte sie sich gegen diese Nachricht auf und war leidenschaftlich entschlossen, die näheren Umstände zu ergründen. Ihre Unerbittlichkeit ließ sie alle Hindernisse überwinden und etwas zustande bringen, was in einem Krieg eigentlich nicht denkbar ist.

Im Dezember 1914 bemerkte ein deutscher Posten an der Front südlich von Lyck, daß auf russischer Seite eine große weiße Fahne geschwenkt wurde. Die russischen Parlamentäre wollten einen Brief übergeben, der an das Außenministerium in Berlin gerichtet war. Es handelte sich um ein Schreiben des bekannten Duma-Abgeordneten Alexander Gutschkow, 1909-11 Präsident der Duma und 1915 Vorsitzender des Russischen Roten Kreuzes, in dem dieser darum bat, daß die Ehefrau des Generals Nachforschungen über den Verbleib ihres Mannes insbesondere im Willenberger Waldgelände durchführen dürfe. Die spanische Botschaft in Berlin wurde als Vermittlerin eingeschaltet. Und schließlich erhielt die Samsonowa die Erlaubnis, mit dem Status einer Rot-Kreuz-Schwester in Begleitung eines deutschen Offiziers, sowohl die Gefangenenlager in Ostpreußen als auch das Waldgelände um Willenberg zu durchforschen.

Nach langem vergeblichen Suchen bricht die Samsonowa vor dem Haus einer alten Bäuerin in Groß-Piwnitz unter Weinkrämpfen zusammen. Voller Mitgefühl nimmt die Alte sie in den Arm und rät ihr, im nahegelegenen Klein-Piwnitz einen letzten Versuch zu unternehmen. Hier hat der Bauer Jedamski zahlreiche russische Gefallene im angrenzenden Wald beerdigt. Die Samsonowa dringt in ihn, ob er irgendwelche Gegenstände zurückbehalten habe, die eine Identifizierung ermöglichen. Der Bauer zögert, denn die Behörden hatten streng darauf geachtet, daß alle persönlichen Habseligkeiten der Gefallenen abgeliefert wurden. Schließlich holt er aus einem Schrank einen Briefumschlag. Darin befindet sich etwas, was nur durch die dem menschlichen Einfluß entzogene Laune des Schicksals zu erklären ist: es ist das Medaillon mit ihrem Bildnis. Die Umstehenden können die Samsonowa gerade noch auffangen; auch sie sind zutiefst erschüttert.

Nach der Exhumierung trugen die deutschen Behörden dafür Sorge, daß die sterblichen Überreste des Generals in einem Eisenbahnwaggon durch die Front in das feindliche Rußland gelangten. Auf dem Weg zum Bahnhof hatte eine Abordnung des preußischen Militärs dem feindlichen General sogar ein Ehrengeleit gegeben. Die Vorgänge um den Tod Samsonows waren der verhallende Ausdruck einer Zeit, in der ein derartiges Verhalten fast schon anachronistisch war. Die Achtung vor dem Tode des anderen und der Respekt vor dem niedergerungenen Gegner waren der letzte Versuch, angesichts stürzender Werte einen Rest kultureller Grundsätze zu wahren.

Mit der zunehmenden Ideologisierung ging eine Epoche, in der diese Werte noch möglich waren, abrupt zu Ende. In der stattlichen Familiengruft direkt neben der Kirche des Dorfes Akimowka im Gouvernement Cherson fand der glücklose Heerführer seine letzte Ruhestätte. Er war der Sproß eines ehrwürdigen Geschlechts, das für sich in Anspruch nahm, ruhmreich bereits unter Iwan dem Schrecklichen gegen die Schweden und auch gegen den deutschen Adel im Baltikum gekämpft zu haben.

Doch die Revolution ging über seine Grabstätte und seine gesamten Besitzungen hinweg. Die Samsonowa mußte in das Ausland fliehen Heute findet sich an der Stelle seines Tode südlich von Willenberg nahe der Försterei Karolinenhof wieder ein Gedenkstein mit einer Tafel, die dem ursprünglichen Exemplar nachgebildet ist. Sein Rivale, Paul Edler von Rennenkampff, der über Güter mit mehr als 44.000 Hektar in Estland verfügte und so erbarmungslos zusammen mit dem General Alexander Nikolaijewitsch Möller-Sakomelski 1905 gegen die Aufständischen vorgegangen war, flüchtete in der Revolutionswirren nach Taganrog am Asowschen Meer.

Hier nahm er unter dem Namen Mandusakis die Identität eines griechischen Fischers an. Er wurde jedoch erkannt und sollte gezwungen werden, eine Einheit der Roten Armee im Bürgerkrieg zu führen. Da er sich weigerte, erschossen ihn die Bolschewisten am 1. April 1918. Wie heißt es in der klassischen Tragödie? Alles ist der Mensch, alles und nichts …

(Mit freundlicher Genehmigung des Autors, erschienen in JF 16/15)

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