Politisches Herbstseminar 2008 in Erfurt:

„Bedeutung und Zukunft Ostpreußens nach dem Georgienkonflikt“

Von Rüdiger Danowski

Mit der Wahl von Erfurt als Austragungsort des Politischen Herbstseminars des BJO sollte einmal mehr dem gesamtdeutschen Gedanken Rechnung getragen werden.

Unter der Überschrift „Bedeutung und Zukunft Ostpreußens nach dem Georgienkonflikt“ konnte der BJO drei Referenten willkommen heißen. Den Anfang machte Herr Klaus Weigelt, Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Königsberg und Vorsitzender der Stiftung Königsberg im Stifterverband der Deutschen Wissenschaft, mit seinem Thema „Deutsch-russische Zusammenarbeit im Königsberger Gebiet“.

Er zeichnete das Bild einer guten Zusammenarbeit, wie sie bis zum Jahr 2000 auf allen Ebenen bestand. Seither gebe es zwar auf der politischen keine, dafür auf den Arbeitsebenen Streckenerfolge in deutsch-russischer Zusammenarbeit. So bestünden Kooperationen mit der Kant-Universität, den Kaliningrader Symphonikern, beim Deutsch-Russischen Haus, dem Deutschen Generalkonsulat, dem evangelischen Gemeindezentrum, mit dem historischen Gebietsmuseum, der Internationalen Ernst-Wiechert-Gesellschaft und nicht zuletzt bei der Pflege des Königsberger Doms mit seinem Kantgrab.

Auf der anderen Seite gebe es aber in den Verhandlungen und Gesprächen mit den Russen auch immer Rückschläge und Mißerfolge. Auch betonte der Referent, daß mit der symbolhaften Einweihung der Christus-Erlöser-Kathedrale der Vollendung der militärischen, politischen und auch geistlichen Landnahme des Königsberger Gebietes Ausdruck verliehen werden sollte.

Herr Dr. Stefan Hartmann, stellvertretender Leiter des Geheimen Preußischen Staatsarchivs a. D., legte mit seinem Referat „Die russische Invasion in Georgien – politische und geschichtliche Hintergründe des Ringens um die Kaukasusregion“ die Grundlagen für den Vortrag von Michael Paulwitz, freier Publizist und Journalist, der zum Thema „Der neue russische Imperialismus – Ostpreußen nach dem Georgienkonflikt“ zu uns sprach.

Dr. Hartmann legte zunächst dar, welch beherrschende Rolle Kaukasien als Gebiet zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer sowohl in der Politik als auch als Handelsstraße zugewiesen wird. Ganz Kaukasien ist besonders gekennzeichnet durch seine vielen unterschiedlichen Stämme und Volksgruppen. Dabei sind die Georgier das einzige kaukasische Volk, das den Weg zur staatlichen Einheit gefunden und eine hohe Kulturstufe erreicht hat. Im Mittelalter hat das Gebiet unter der Beanspruchung von Hunnen, dem byzantinischen und auch persischen Reich sehr gelitten, wobei das georgische Reich seine vorher erlangte Machtstellung nicht wiedergewinnen konnte. Ab dem 16. Jh. fand sich der Kaukasus nun zwischen den drei Großmächten Türkei, Persien und Rußland. Im Zuge des Ringens um die Region wechselten häufig die Landesherren, bis Georgien zu Beginn des 19. Jhs. von Rußland einverleibt wurde und auch die autokephale georgische Kirche ihre Selbständigkeit verlor. Der von mohammedanischen Bergvölkern bewohnte Norden Kaukasiens leistete jedoch in den „Kaukasischen Kriegen“ mehr als 40 Jahre den russischen Eindringlingen erbitterten Widerstand. Im Ergebnis erlag die im Nordkaukasus zurückgebliebene Bevölkerung der russischen Assimilationspolitik oder wurde in die Berge zurückgedrängt.

Später erklärten die kaukasischen Völker im Zuge der russischen Oktoberrevolution ihre Unabhängigkeit, doch wurde diese Entwicklung nach dem Sieg der Roten Armee wieder rückgängig gemacht und Georgien, Aserbaidschan und Armenien wurden zu selbständigen Staaten der UdSSR. Auch nach dem Ende des Kalten Krieges bliebe die Region im Interesse der neuen und alten Großmächte.

Der jüngste Konflikt wäre, so Dr. Hartmann, für geschichtlich denkende Zweibeiner keine Überraschung gewesen. Vielmehr sei der Kaukasus seit jeher wegen seiner zentralen Lage, seiner Bodenschätze, Handelswege, insbesondere aber Öl- und Gaspipelines auch weiterhin von großer und strategischer Bedeutung für die globalen Mächte. Ein prüfender Blick auf die Entwicklungen dort sei also von Zeit zu Zeit empfohlen.

Im folgenden legte Michael Paulwitz eindrucksvoll die lange Geschichte des russischen Imperialismus dar. Er sei die logische Fortsetzung der „Sammlung russischer Lande“ seit Ivan Grosnij. Unter Peter dem Großen strebte Rußland nach Westen, Ostsee und zu eisfreien Häfen, unter Katharina der Großen zum Bosporus und im 19. Jh. erfolgte in Rivalität zu England als sog. „Great Game“ ein Ausgreifen nach Süden, zum Kaukasus und Zentralasien. Auch sei der Bolschewismus lediglich Vehikel zur Wiedergewinnung des alten Imperiums und Erweiterung um angrenzende abhängige Staaten gewesen. Nach dem Rückschlag der Auflösung der SU durch Gorbatschow fände nun in der andauernden Ära Putin ein neues „Great Game“ – nun aber mit dem Rivalen USA – um die Sicherstellung der eigenen Rohstoffversorgung, der Erschließung von Absatzmärkten und deren Absicherung statt.

Es sei ein klassischer Stellvertreterkrieg geführt worden, wobei allerdings weder die USA Georgien als vermeintliche „Demokratie“ stützten, noch wären die Russen uneigennützig den Südosseten zu Hilfe geeilt. Warum gerade Georgien zum Stellvertreter-Kriegsschauplatz wurde, habe vier Gründe: Neben dem Faktor Öl ist Georgien strategischer Stützpunkt, an dem die USA ein Interesse haben. Ebenso aber würde die NATO-Mitgliedschaft Georgiens eine weitere Einkreisung bedeuten. Dritter Grund ist Israel. Neben engen persönlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen mit Georgien gehört vorwiegend israelischen Investoren die Pipeline Baka-Ceyhan. Der letzte Grund liegt in Georgiens Grenzlandstatus zu Iran.

Der Georgienkrieg sei ein klarer Punktsieg für Putin: Er habe die Beschränktheit und Impulsivität Saakaschwilis geschickt genutzt, um ihn zu einem Fehler zu provozieren, der ihm erlaubt, die ganze Nato als Papiertiger zu entlarven, der zwar gern hoch pokert, aber doch nicht „die Hosen runterläßt, wenn’s hart auf hart geht“.

All das habe natürlich Auswirkungen auf Mitteleuropa. Um die Spannbreite der nationalstaatlichen Positionen zu überbrücken, bleibe kaum mehr als die Zuflucht zu Formelkompromissen und Allgemeinplätzen. Balten und Ukrainer, unterstützt von Polen und Tschechen, fürchten, sie könnten „die nächsten“ sein, wenn Rußland wieder „seine Bürger“ jenseits der Grenzen schützen wollte. Sie scharen sich daher um die externe Supermacht USA als transkontinentalen Sicherheitsgaranten und um Spanien und England. Auf der anderen Seite des Spektrums stehe Frankreich, dem an guten Geschäftsbeziehungen zu Rußland gelegen ist. Selbst Italien, das im Irak-Krieg bedingungslos proamerikanisch auftrat, schlage sich im Georgien-Konflikt massiv auf die russische Seite.

Im Streitfall Raketenabwehrschirm ginge es den USA um den Aufbau einer Front gegen Rußland, Iran sei dabei nur ein Vorwand. Somit wird die Frage um die ukrainische Krim wieder angeheizt; aber auch Ostpreußen werde wegen der sich anbahnenden Remilitarisierung wieder zur Schlüsselposition.

Fraglich wäre noch, wo Deutschlands nationale Interessen lägen. Das kurze Zeitfenster, in dem selbst Bewegung in Territorialfragen möglich erschien – so die von deutscher Seite nicht erwiderten Avancen wegen Ostpreußen – sei nun geschlossen. Rußland habe durch die Rolle als Hauptrohstofflieferant Mitteleuropas neue Handlungsspielräume und neues Selbstbewußtsein erhalten. Deutschland spiele dabei nicht mit im Spiel um die Aufteilung der Welt in Großräume, da es nicht mehr in der Lage sei, selbst einen Großraum zu beanspruchen und die Vorherrschaft darin durch eigene Machtmittel abzusichern. In diesem Spannungsfeld könne sich auch Deutschland nicht dem Druck entziehen, klar Stellung zu nehmen und seine eigenen Interessen zu definieren. Wo aber liege der Interessen-Großraum der kontinentalen Mittelmacht Deutschland? Zweifellos in Mitteleuropa und im Osten und Südosten des Kontinents – in jenem Raum eben, der von der mittelalterlichen Ostsiedlung bis zur Habsburgermonarchie vom wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Einfluß des deutschen Sprachraumes geprägt worden ist. Kroatien und Bosnien-Herzegowina gehören mit Sicherheit dazu, wohl auch das Kosovo, Regionen, in denen sich Deutschland mit einigem Grund intensiv engagiert. Dagegen werde Deutschlands Sicherheit weder am Hindukusch noch am Elbrus oder am Kasbek erfolgreich zu verteidigen sein. Auch im Kaukasus stünden keine unmittelbaren deutschen Interessen auf dem Spiel. Daher sei Distanz geboten. Ein gutes Verhältnis zum Wirtschaftspartner Rußland sei wichtig. Ein glaubwürdiger Makler müsse aber unabhängig sein. Deutschlands einseitige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen widerspreche diesem Selbstbild und zwinge indirekt eben doch zur Parteinahme. Vor dem Erfolg im politischen Maklergeschäft stehe daher die Selbsterkenntnis, daß Deutschland dringend eine nationale Energie- und Rohstoffstrategie braucht, die der deutschen Volkswirtschaft sichere und ausdifferenzierte Nachschubwege garantiert.

Nach diesen spannenden Referaten und angeregten Diskussionen wurde der Vortragskanon des diesjährigen Herbstseminars mit dem gemeinsamen Singen des Ostpreußenliedes beschlossen.

Wenn im Programm angekündigt worden ist, daß sich eine Anmeldung zum Seminar allein schon wegen der Führung durch die Erfurter Altstadt lohnen sollte, dann wurde hier nicht zuviel versprochen. Sowohl die Besichtigung des historischen Stadtkerns als auch die Fackelführung durch die Erfurter Zitadelle bescherte uns neben einem großartigen Eindruck von Erfurt zwar kalte Füße, doch faßten die Seminarteilnehmer daraufhin stets lange und augenscheinlich auch reichlich die Gelegenheit beim Schopfe, sich ein umfangreiches Bild von der örtlichen Kneipenszene und seinen Bierspezialitäten zu machen.

Erfurt, Bachstadt, Lutherstadt! Ein wenig von diesem Geist spürten wir doch. Im Krieg „nur“ zu 5 % zerstört, im Laufe der DDR-Jahrzehnte zu einer völlig baufälligen Stadt heruntergekommen, sollte Erfurt in den 90er Jahren zur sozialistischen Vorzeigeinnenstadt aus Plattenbauarchitektur werden. In diesem Zuge unterzeichnete Honecker vor der Wende die Pläne zur Umsetzung der Aktion „Erfurt soll Platte werden“ [von der FRITZ-Redaktion vermutete Bezeichnung], was jedoch durch die Wende verhindert wurde.

Neben zwei wunderbaren Abenden in der Gemeinschaft im prachtvollen Erfurt hat der BJO erfolgreich sein 11. Politisches Herbstseminar hinter sich gebracht.
2009 wieder Politisches Herbstseminar

Auch im nächsten Jahr wird ein Herbstseminar stattfinden. In der schönen Pfälzer Weingegend wollen wir von Neustadt a. d. Weinstraße aus mit dem Erklimmen des Hambacher Schlosses auf den Spuren der deutschen Revolution wandeln. Termin: 30. Oktober – 1. November 2009.

Bitte notiert es Euch rechtzeitig, damit wir auch 2009 in angemessenem Rahmen kritisch und politisch mit den Referenten diskutieren können.

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