Ostpreußen-Grundlagenseminar 2003

Erstmals veranstaltete die Jugendorganisation der Landsmannschaft Ostpreußen, der Bund Junges Ostpreußen (BJO), ein Grundlagenseminar. Bei diesem verlängerten Wochenende im Ostheim in Bad Pyrmont handelte es sich um den Versuch, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß an den staatlichen Schulen der Bundesrepublik der Osten Deutschlands kaum noch thematisiert wird und es somit Jugendlichen selbst an elementarstem Grundwissen über das Land der dunklen Wälder und kristall'nen Seen häufig ermangelt.

Das Programm begann am Freitagabend mit einer Präsentation, in der zu passender Musik Bilder vom heutigen und gewesenen Ostpreußen zu sehen waren, der Vorführung des ersten Bandes des Video-Zweiteilers “Ostpreußenreise 1937” sowie der obligatorischen Vorstellungsrunde. Das Kennenlernen wurde nach der Beendigung des offiziellen Tagesprogramms in der sogenannten Höhle, dem geselligen Keller des Ostheims, im informellen Rahmen fortgesetzt.

Der Sonnabend begann gleich mit einem, wenn nicht dem Höhepunkt, dem Vortrag von Heinz Schön über die “Flucht über die Ostsee”, wobei der Untergang der “Wilhelm Gustloff” den Schwerpunkt bildete. Es kann interessant sein, wenn ein Dozent Wissen aus zweiter Hand wissenschaftlich reflektiert, und es kann bewegend sein, wenn ein Zeitzeuge Erlebtes unreflektiert wiedergibt, doch wenn ein Referent sein Thema sowohl erlebt als auch wissenschaftlich bearbeitet hat, ist diese Kombination meist nicht zu schlagen. So war es auch im Falle von Heinz Schön. Wie dieser nicht mehr ganz junge Mensch fast zwei Stunden frei und trotzdem in Schriftdeutsch wie aus einem Guß referiert hat, war schon ein faszinierendes Erlebnis.

Anschließend führte Dr. Manuel Ruoff in “Stationen preußischer Geschichte” ein. Neben der Vermittlung geschichtlicher Grunddaten und fakten ging es dem Redakteur des Ostpreußenblattes darum, im offenen Gespräch mit den Teilnehmern die Parallelen zwischen den preußischen Idealen der Neuzeit und den ritterlichen Idealen des Mittelalters zu erarbeiten, um dann die Kontinuitätslinie vom Deutschen Ordensstaat zu Preußen aufzuzeigen. Ruoff führte seine Suche nach Parallelen sogar zu der These, die die Elite des Deutschen Ordens bildenden Ritter, von denen erwartet worden sei, daß sie als Soldaten Christi selbstlos und demütig ihr Leben etwas Höherem, nämlich Gott, weihten, hätten in der Neuzeit ihre Entsprechung in den die Elite des preußischen Staates bildenden Beamten und Soldaten gefunden, von denen ebenfalls erwartet worden sei, daß sie als Diener ihres Staates selbstlos und demütig ihr Leben etwas Höherem widmeten, wobei als Folge von Reformation, Aufklärung und Säkularisierung/Verweltlichung an die Stelle Gottes zunehmend der weltliche Staat getreten sei. Dabei habe der Ordensstaat als Zwischenglied fungiert haben können, da er sich im Gegensatz zu seinen weltlichen Nachbarn mit der Christianisierung der Balten einem religiösen, altruistischen Zweck verschrieben hatte. Diese von Ruoff auf dem Seminar nur andeutungsweise vorgestellte These wäre eine mögliche Erklärung für die Personifizierung und Verherrlichung des Staates sowie die Staats und Obrigkeitshörigkeit, die den Preußen so gerne vorgeworfen wird.

Nach den “Stationen preußischer Geschichte” stellte Dr. Sebastian Husen “Stationen ostpreußischer Geschichte” vor. Er tat dieses mit einem Lichtbildervortrag. Nicht nur jene, die selber schon einmal versucht haben, die Schilderung historischer Ereignisse, die vor der Einführung und Verbreitung der Fotografie stattgefunden haben, zu bebildern, wird sich vorstellen können, mit wie viel Aufwand und Mühe die Erstellung dieses Diavortrages verbunden war, der in der Zeit vor der Christianisierung des Prußenlandes begann und dann die Jahrhunderte bis zur Flucht und Vertreibung der Ostpreußen systematisch aufarbeitete.

Als einen weiteren Höhepunkt muß man den von Dr. Jürgen Danowski am fortgeschrittenen Nachmittag angebotenen Infoblock bezeichnen. “Aufbau und Struktur der Landsmannschaft Ostpreußen”, so der Titel, ließ einen zwar wissenswerten aber auch trockenen Vortrag erwarten. Es kam ganz anders. Der Angehörige des LO-Bundesvorstandes bot eine von den engen Fesseln des Themas losgelöste souveräne Tour d'Horizon, die er ebenso engagiert wie locker vortrug. Bereits seine lebhafte, anschauliche Schilderung der Gründung des Ordensstaates, mit der er seinen Vortrag begann, bot dem aufmerksamen Zuhörer eine ebenso interessante wie aufschlußreiche Erklärung für die vom Ausland ebenso bewunderte wie gefürchtete ungeheure Dynamik, die den Ordensstaat und Preußen über weite Teile ihrer Geschichte kennzeichneten. Lebendig war auch die Zeichnung der Charaktere der Sprecher der Landsmannschaft, vom ersten unter den Amtsinhabern, Dr. Ottomar Schreiber, bis zum aktuellen, Wilhelm v. Gottberg. Dabei profitierten die Charakterzeichnungen von Danowskis langjähriger Verbandsarbeit, die ihn nicht nur den aktuellen Sprecher kennenlernen ließ. Der Referent beschränkte sich jedoch nicht auf die Präsentation von Biographien, sondern beleuchtete auch den jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund in der Bundesrepublik. Dabei wurde deutlich, daß wahrlich nicht alles so kommen mußte, wie es in der bundesdeutschen Vertriebenenpolitik dann (leider) gekommen ist. Zu Recht kommentierte Danowski seine eigenen Ausführungen mit den Worten: “Das sind Dinge, die Sie sonst nirgends hören.”

Den schönsten Programmpunkt bildete der Ostpreußische Abend. Abwechselnd wurden mit der Unterstützung von Boris an der Gitarre Lieder gesungen und von den Teilnehmern nacheinander Amüsantes und Besinnliches vorgetragen beziehungsweise vorgeführt, wobei eine Parodie von Heinz Erhard zweifellos den Vogel abschoß. Zwischendurch vermittelte die BJO-Vorsitzende Nanette Kaiser den Teilnehmenden durch die Verteilung von Kostproben ostpreußischer Köstlichkeiten wie Bärenfang, Pillkaller und Königsberger Fleck Grundlagen ostpreußischer Eß- und Trinkkultur. Den kulturellen Abschluß bildete an diesem Tage ein Besichtigungsgang durch das nächtliche Bad Pyrmont unter der Leitung von Jürgen Danowski. Wer dann wollte, konnte anschließend noch in der “Höhle” versacken.

Am Vormittag des letzten Tages referierten Dr. Bärbel Beutner und Dr. Marianne Kopp, die bereits am Abend vorher zu der Gruppe gestoßen waren, über “Philosophie in Ostpreußen” und “Agnes Miegel für Anfänger”, wobei die Kulturreferentin der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen zweifellos die schwierigere Aufgabe hatte, denn abgesehen davon, daß Philosophie sicherlich abstrakter ist als Literatur, konnte sich die Vorsitzende der Agnes-Miegel-Gesellschaft auf die Vorstellung des Lebens und Wirkens einer Person konzentrieren, während sich die Philosophie in Ostpreußen trotz der herausragenden Bedeutung Immanuel Kants nicht nur auf diesen berühmtesten Sohn der ostpreußischen Hauptstadt beschränken läßt.

Den obligatorischen Abschluß bildete eine Seminarkritik. Dabei stellte sich ein breiter Konsens heraus, daß diesem ersten Grundlagenseminar viele ähnliche Seminare folgen sollten.

E.B.

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