Die erste Memellandfahrt des BJO

von Andreas Beister

Am Küchentisch sitze ich. Wie jeden Morgen habe ich mir ein, zwei Tassen Kaffee gemacht. Wie jeden Tag fiel das Frühstück auch heute wieder dürftig aus. Und schon wieder fallen einem die vielen Dinge ein, die noch zu erledigen sind: Hausaufgaben, Uni, und Arzttermine. Dann ist vielleicht der Fernseher kaputt, das Telefon im Eimer, der Freund meldet sich nicht mehr und überhaupt scheint einem manchmal alles viel zu viel. Dann wünscht man sich nur noch: Urlaub. Urlaub in der Karibik, Mallorca, Lorette oder: Ostpreussen. Es soll ja wirklich Leute geben, die behaupten, in Ostpreussen könne man nichts erleben. Das ist aber, mit Verlaub gesagt, völliger Unsinn, wenn man zum Beispiel nur mal an die diesjährige Memellandfahrt denkt..:

Der Oberbürgermeister von Memel (rechts im Bild) sprach mit den Jungen Ostpreußen

Der Oberbürgermeister von Memel (rechts im Bild) sprach mit den Jungen Ostpreußen

Ich meine, es war ja auch `ne tolle Sache gewesen. Angefangen hat es erst mal mit einer gemütlichen Runde in der „Kapitänskneipe“. Wir sind ja insgesamt 3 Tage lang auf der See geschippert, um von Kiel nach Memel und von Memel nach Kiel wieder zurück zu kommen. Da wurde bei Bier, Wodka und Tee, Tanz und Musik erst einmal so richtig in den Urlaub gefeiert. Bis 4 Uhr morgens, bis in die Puppen.. Ach, Du meine Güte..

Die Besichtigung der Nehrung, des Memellandes und der Stadt ist sehr gut, fast schon professionell von meinem Freund Kestutis durchgeführt worden. Er zeigte uns die entlegensten Winkel, uralte, winzige, verwinkelte Gassen; Straßenzüge, Alleen, das alte kaiserliche Postamt und sogar einen Mannheimer Wasserhydranten. Spuren aus deutscher Zeit lassen sich hier oft entdecken.

Gleich zu Beginn der Reise lud uns Kestutis zu sich nachhause ein. Dort unter Ostpreussen aßen wir von einer riesigen Fleischplatte, tranken Wodka und bulgarischen Wein, zückten das Schifferklavier und sangen bis tief in die Nacht hinein. Ein Fest, wie es üblich war. Früher, in einem noch anderen Ostpreußen…

Das alte Memel vermittelt auch heute noch einen ausgezeichneten Eindruck von Früher. Und das Beste kommt erst noch: als wir auf dem Markt Bernsteinschmuck einkauften, hieß es plötzlich: „Na, Jungche, was willst?“ Erschrocken zuckte ich zusammen: es waren vertraute Klänge gewesen, die ich hörte. Sofort stellte sich heraus, dass es ostpreussische Marktfrauen waren. Deutschstämmige, die nicht wie wir Hochdeutsch, sondern wie unsere Großeltern den ostpreussischen Dialekt sprachen. Ich konnt’s kaum fassen. Es war wie aus dem Bilderbuch, wie eine Reise in die Vergangenheit. Und eine Sekunde schien es, als ob noch heute Ostpreußen wie Tag und Nacht selbstverständlich wären.

Auch das Simon-Dach-Haus besuchten wir: klar, es ist ja die Begegnungsstätte der deutschen Minderheit. Es ist wohl eines der bestausgestattetsten bürgerlichen Häuser im nördlichen Ostpreußen. Und diese Adresse ist Jedem zu empfehlen, der mal einen schönen Urlaub dort oben erleben möchte.

Erschöpfte ostpreußische Jugendliche nach dem Besuch des Clubs "Paradox" in Memel

Erschöpfte ostpreußische Jugendliche nach dem Besuch des Clubs "Paradox" in Memel

Am Schönsten war’s aber mit unseren neuen ostpreußischen Freunden: Laura, Harald, Ilona und Daiva. Zusammen gingen wir ins Kino, die Disco und besuchten das Altstadtfest: und da sagt noch einer, Ostpreußen gehöre in die Mottenkiste. Von wegen… Wie oft aßen, tranken und feierten wir? – Ich habe keine Ahnung, hab’s total vergessen. Auf jeden Fall hat es riesig Spaß gemacht. Echt super.

Ach ja, die 750-Jahr-Feier von Memel.. Die hätte ich fast vergessen.. Montags ging es ja ins Theater. Da musste man sich schon ordentlich anziehen. Ein weißes Hemd, schwarze Hosen, vielleicht noch ne Krawatte. Wichtige Leute, Professoren und sogar der deutsche Botschafter hielten Reden und waren von den großen Festlichkeiten offensichtlich sehr angetan. Übrigens kamen wir ja auch noch mit dem Oberbürgermeister zusammen… Ein netter Kerl muß ich sagen..

Was hilft’s von Heydekrug oder der Fahrt ins tiefe Memelland zu erzählen? Wie war es doch gleich mit der Spurensuche nach den alten Gütern Palaiten und Gaidellen? Wie groß waren sie einst gewesen, und was ist von ihnen geblieben? Kaum noch ein einziger Stein erzählt von ihnen.. Ach du meine Güte: was müsste man erst über die soziale Not der Litauer erzählen? Bettelnde Kinder, Alkoholismus, Prostitution und Krebs : sehr Viele leben unter den härtesten Lebensbedingungen. Zu viel wird geredet, zu wenig geholfen.

Wie viel müßte man von den allmorgendlichen Einkaufstouren in den EKO-Markt berichten? Die Abenteuer mit unserer Kakerlake „Erika“, die Reise nach Tilsit und den Künstlern in unserem Haus?

Ach ja, das Memelland. Die Fahrt hat sich gelohnt. Ob Kultur, Theater oder Krawatten, Politik oder Geschichte, Baden oder Abenteuer, Spaziergänge oder Romantik, Begegnung mit Menschen oder Partys. Alles war dabei, für jeden etwas: für Jung und Alt, den Ruhigen und Wilden. Ach, es war schon eine schöne Zeit gewesen, damals, in Memel. Wer nicht teilnahm, hat etwas verpasst, und alle die dabei waren, werden es bezeugen.

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